ISLAMISMUS | RECHTSEXTREMISMUS

Behauptungen von Gefahr und Indoktrination: Queerfeindlichkeit im Islamismus und Rechtsextremismus 

Die Ablehnung queerer Lebensweisen ist nicht neu in der Agitation von Extremisten, entsprechende Aussagen finden seit vielen Jahren Verbreitung in den Szenen. Dabei werden unterschiedliche Argumente bemüht, um queere Menschen zu verurteilen. Ähnliche Argumentationsmuster werden über die Grenzen einzelner extremistischer Felder hinweg genutzt, hier nachgezeichnet für die Bereiche Islamismus und Rechtsextremismus.

Die gesellschaftliche Sichtbarkeit von queeren Lebensweisen und ihre rechtliche Gleichstellung hat in den vergangenen Jahren zugenommen. Damit ging der Anstieg extremistischer Agitation gegen Trans- und Homosexualität auf ideologischer Ebene einher. Aktuelle Agitationsversuche zeigen, dass Queerfeindlichkeit in verschiedenen extremistischen Strömungen, zum Beispiel Islamismus und Rechtsextremismus, verankert ist. Beide kennzeichnet ein heteronormatives Weltbild: Islamisten und Rechtsextremisten betrachten Mann und Frau als eindeutig voneinander abgrenzbar, einzig Heterosexualität wird als soziale Norm akzeptiert.

Zugleich zeigen Befragungen, dass die Ablehnung queerer Lebensweisen auch in der breiten Gesellschaft zu finden ist. So stellte die Mitte-Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung 2021 fest, dass 7,1 Prozent der deutschen Bevölkerung der Abwertung Homosexueller und sogar 11,2 Prozent der Abwertung von Trans-Menschen zustimmen. Die Studie „Menschen in Deutschland“ (MiD) kam 2022 zu dem Schluss, dass 11,6 Prozent der deutschen Bevölkerung Homosexuelle ablehnen, 7,8 Prozent der Befragten befürworteten gar ein Verbot von Homosexualität. Diese Zahlen deuten auf ein nicht zu unterschätzendes Mobilisierungspotenzial für Extremisten hin.

Doch wie versuchen Extremisten dieses Potenzial auszuschöpfen? Wenn man die Diskurse der islamistischen und rechtsextremistischen Phänomenbereiche vergleicht, offenbart sich eine Vielzahl unterschiedlicher Argumentationsmuster. Viele dieser Muster werden von Islamisten und Rechtsextremisten gleichermaßen bemüht, wie drei Beispiele zeigen. 

Warnung vor Unheil als angebliche Folge queerer Lebensweisen

Weit verbreitet ist die Beschwörung einer unmittelbaren Gefahr: Weil queere Lebensweisen negative Folgen hätten, sollten sie nicht ausgeführt werden. So berief sich Pierre VOGEL in einem YouTube-Video auf eine evangelikale Homepage, die wiederum eine veraltete neuseeländische Studie zur psychischen Gesundheit von Jugendlichen aus dem Jahr 1999 zusammenfasst. Er zitiert die Zusammenfassung der Studie folgendermaßen: „Es wurde dabei festgestellt, dass die homosexuell orientierten Jugendlichen deutlich häufiger unter schweren Depressionen, Angstneurosen, Nikotinabhängigkeit und anderen Süchten sowie verschieden anderen psychischen Erkrankung litten als die heterosexuell orientierten Jugendlichen“.

Im rechtsextremistischen Spektrum warnt man nicht nur vor Gefahren für queere Menschen selbst – zum Beispiel die vermeintlich häufige Verbreitung bestimmter Krankheiten –, sondern auch vor Gefahren für die gesamte Gesellschaft. Nach einem Amoklauf im US-amerikanischen Nashville im März 2023, der von einem transgeschlechtlichen Täter verübt wurde, beschworen rechtsextremistische Akteure so das Bild eines herannahenden „Trans-Terrorismus“ herauf. Der österreichische Rechtsextremist Martin SELLNER schrieb dazu beispielsweise auf Telegram: „Diese Regenbogen-Ideologie zerstört nicht nur die Köpfe und Seelen unserer Kinder, sie gebiert auch Wahnsinnige“. 

Queere Lebensweisen auf einer Stufe mit Pädophilie und Inzest

Ein weiteres Muster ist der Vergleich queerer Lebensmodelle mit psychischen Störungen oder strafbaren Aktivitäten: Weil Handlungen, die queeren Lebensweisen ähnlich seien, in der Gesellschaft für gewöhnlich als Tabu gälten, sollten auch queere Lebensweisen abgelehnt beziehungsweise verboten werden, lautet die Argumentation der Extremisten. So verglich der Islamist Marcel KRASS Homosexualität in einem YouTube-Video mit inzestuösen Beziehungen zwischen „Bruder und Schwester, Mutter und Sohn oder, noch heikler, Vater und Tochter“. Dabei betonte er, dass inzestuöse Beziehungen in Deutschland – anders als Homosexualität – nach wie vor verboten seien: „Und ich kann bis heute kein demokratisches, säkulares Prinzip dahinter entdecken, warum das untersagt ist und beispielsweise homosexuelles Handeln nicht.“ Und legt nahe, dass es keinen Unterschied zwischen beidem gebe. 

Rechtsextremisten schlagen besonders häufig eine inhaltliche Brücke zwischen queeren Lebensweisen und Pädophilie und bezwecken damit eine Gleichsetzung zu Lasten queerer Menschen. Vereinzelt finden sich auch direkte Vergleiche mit sexuellen Störungen oder strafbaren Handlungen. In Reaktion auf mehrere Tweets, die es als Meilenstein darstellten, dass die „World Health Organization“ (WHO) 1990 Homosexualität von der Liste der psychischen Erkrankungen gestrichen hat, schrieb ein User in einem rechtsextremistisch geprägten Online-Forum im Mai 2022: „‚Ent-Pathologisierung von sexueller Diversität‘ = Legalisierung von Pädophilie, Sodomie & sonstigen Perversitäten“. 

Queere Lebensweisen als Resultat einer vermeintlich politischen Agenda 

Zudem kursiert unter Extremisten das Argument der externen Einflussnahme, die als Bedrohung wahrgenommen wird: Queeres Leben werde von politischen, gesellschaftlichen oder religiösen Verantwortlichen gezielt entproblematisiert, normalisiert und legitimiert. Dabei handele es sich um eine Agenda, die nicht im Einklang mit dem Islam beziehungsweise der tatsächlichen Natur des Menschen stehe. Dieses Muster zeigt sich zum Beispiel in einem YouTube-Video, in dem der Islamist „Anas Islam“ mit einer muslimischen Trans-Frau spricht. Er fragt, ob ihre queere Lebensweise möglicherweise von außen an sie herangetragen worden sei, weil sie irgendwann einmal die stereotype Rollenvorstellung überschritten habe: „Kann es sein, dass man vielleicht nicht damit klargekommen ist, dass es so ein paar Tendenzen dazu gibt, die jetzt nicht, das sind, was man sich unter männlich vorstellt, und man dich vielleicht so quasi in eine Ecke gedrängt hat, dass man dir gesagt hat: Ja, aber warte mal, wenn du das jetzt machst, dann bis du ja weiblich.“ 

Entsprechende Argumente finden sich auch im rechtsextremistischen Milieu. Beispielsweise heißt es in einem Homepage-Beitrag der neonazistischen Kleinpartei „Der III. Weg“ im November 2019 zu einer Dating-Fernsehsendung mit homosexuellen Männern: „Wenn man nun auf diese Art von propagandistischen Sendungen schaut und die, [sic] uns zusätzlich beschallenden Systemmedien nüchtern betrachtet, ist es nur verständlich, dass der Mensch seine natürlichen Verhaltensweisen ablegt und eine völlig lebensfremde Ideologie annimmt. Darum fordern wir, die Partei ‚Der III. Weg‘, die natur- und lebensfeindliche Homopropaganda zu stoppen und unsere Heimat sowie unsere traditionelle Lebensweise zu wahren!“ 

Fazit: Unterschiedliche Argumente – verschiedene Funktionen

Die unterschiedlichen Argumentationsmuster zur Ablehnung von queeren Lebensweisen erfüllen für die extremistischen Akteure jeweils unterschiedliche Funktionen, wie die drei angeführten Beispiele zeigen. Im ersten Beispiel wird ein vermeintlicher Zusammenhang zwischen queeren Lebensweisen und physischen oder psychischen Krankheiten geschaffen. Dadurch schüren Extremisten in mehrfacher Hinsicht Angst vor Homosexualität. Ihre Botschaft lautet hier: Werde selbst nicht queer und halte dich von queeren Menschen fern, denn sie verbreiten Krankheiten und sind gefährlich. Das zweite Argumentationsmuster dient zur Gleichsetzung mit strafbaren Handlungen oder psychischen Störungen und soll so den Diskussionsgegenstand entgrenzen. Daraus folgt die Behauptung, diese miteinander gleichgesetzten Phänomene müssten gesammelt als verwerflich beziehungsweise als nicht verwerflich angesehen werden. Der dritte Argumentationsstrang bettet die homophoben Argumente in einen gesamtpolitischen Zusammenhang ein. Demzufolge würden verborgene Mächte aus niederen Beweggründen versuchen, durch das Propagieren queerer Lebensweisen in den privatesten Bereich vorzudringen und das traditionelle Familienbild zu zersetzen. Hier dominiert eine verschwörungstheoretische Weltsicht, die nicht zuletzt dem Handeln anderer Akteure die Rechtmäßigkeit absprechen soll. 

Extremisten versuchen im Diskurs über queere Lebensweisen aktiv und gezielt zur Meinungsbildung beizutragen. Damit zielen sie einerseits auf eine Stärkung ihrer Narrative und Positionen innerhalb der eigenen Anhängerschaft ab. Andererseits soll durch die gezielte Themensetzung hinsichtlich Queerfeindlichkeit eine neue Zielgruppe abseits der extremistischen Szene erschlossen werden, indem mit dem Thema Queer ein Diskussionsfeld behandelt wird, das in breiten gesellschaftlichen Schichten anschlussfähig ist.

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