Rechtsextremismus

„Ansprechpartner im Kampf um Volk und Vaterland“: JN gründen einen „Stützpunkt Baden-Württemberg“ 

Die „Jungen Nationalisten“ (JN), 1969 als „Junge Nationaldemokraten“ gegründet, (JN) sind die Jugendorganisation der „Nationaldemokratischen Partei Deutschlands“ (NPD) und damit integraler Bestandteil einer der wichtigsten rechtsextremistischen Organisationen im Deutschland der vergangenen 50 Jahre. Noch vor wenigen Jahren waren sie die größte und bedeutendste rechtsextremistische Jugendorganisation in Deutschland und in Baden-Württemberg, das Bundesland war zudem noch vor gut einem Jahrzehnt eine JN-„Hochburg“. In jüngster Zeit wurde es um die JN zwischen Main und Bodensee dagegen relativ ruhig. Am 23. Oktober 2022 vermeldeten sie jedoch im Internet eine „Stützpunktgründung Baden-Württemberg“. Folglich ist damit zu rechnen, dass die JN im Land wieder stärker in Erscheinung treten dürften. Vor dem Hintergrund dieses Ereignisses und angesichts der grundsätzlichen Bedeutung der JN für den deutschen Rechtsextremismus lohnt sich ein genauerer Blick auf die Organisation und ihre Entwicklung im Baden-Württemberg der letzten Jahre.

„Stützpunktgründung“ im Oktober 2022 in Kirchberg an der Jagst

2022 war der baden-württembergische JN-Landesverband, wie schon in den Vorjahren, zumindest bis in den Oktober hinein weitgehend inaktiv. Am 23. Oktober 2022 vermeldete er jedoch im Internet, dass in Anwesenheit des JN-Bundesvorsitzenden Sebastian WEIGLER aus Niedersachsen eine „Stützpunktgründung Baden-Württemberg“ erfolgt sei. Wo und wann diese stattgefunden hat bzw. für welche Region in Baden-Württemberg der „Stützpunkt“ zuständig sein soll, ging aus der kurzen Meldung nicht hervor. Im Nachgang wurde jedoch bekannt, dass die Gründung im Rahmen eines „Gemeinschaftstags“ der JN am Wochenende vom 14. bis 16. Oktober 2022 in einem rechtsextremistischen Szeneobjekt in Kirchberg an der Jagst-Herboldshausen erfolgt ist. In einem Bericht auf der JN-Homepage vom 24. Oktober 2022 über den „Gemeinschaftstag“ wurden zwar weitere Details der Veranstaltung genannt, die Stützpunktgründung jedoch nicht erwähnt.

Eine Formulierung in der JN-Internetmeldung vom 23. Oktober 2022 gab Aufschluss über den bisherigen Zustand der JN im Land, hieß es doch, „dass die politische Jugendarbeit im Süd-Westen nun wieder einen organisierten Ansprechpartner im Kampf um Volk und Vaterland“ habe. Im Umkehrschluss heißt dies, dass die JN selbst aus eigener Sicht vor dieser Gründung keine aktiven „Stützpunkte“ in Baden-Württemberg mehr unterhalten und demnach völlig daniedergelegen haben. Das war nicht immer so: Noch vor einigen Jahren zählte Baden-Württemberg zu den „Hochburgen“ der JN in Deutschland.

Die JN in Baden-Württemberg vor Oktober 2022: Eckdaten eines Niedergangs

Die frühere große Bedeutung der JN für die NPD, aber auch für die rechtsextremistische Szene insgesamt in Baden-Württemberg, lässt sich anhand verschiedener Parameter darstellen – ebenso ihr darauffolgender Niedergang:

a. In nur wenigen Jahren, zwischen 2004 und 2008, stieg die Zahl der JN-Mitglieder in Baden-Württemberg von ca. 50 auf ca. 110, so dass 2008 über ein Viertel der ca. 400 deutschen JN hier ansässig waren und die Jugendorganisation ein knappes Viertel der damals ca. 450 baden-württembergischen NPD-Mitglieder stellte. Auf diesem hohen Niveau stagnierte die Mitgliederzahl bis einschließlich 2010. Danach begann ein fast kontinuierlicher personeller Rückgang mit dem Ergebnis, dass 2020 und 2021 von nur noch rund 35 JN in Baden-Württemberg auszugehen war; dies entspricht ungefähr einem Drittel der Zahl von 2010. In ganz Deutschland fiel die Zahl der JN-Mitglieder zwischen 2010 und 2021 von ca. 430 auf ca. 280, also „nur“ um ein gutes Drittel.

b. Zumindest um 2010 waren die Organisationsstrukturen des JN-Landesverbands Baden-Württemberg im Vergleich mit den anderen Landesverbänden am stärksten ausgeprägt: 2010 wies er auf seiner damaligen Homepage insgesamt 13 regionale „Stützpunkte“ landesweit aus. Deren Zuständigkeitsbereiche erstreckten sich teils auf bestimmte Städte (und mutmaßlich deren Umland) wie Karlsruhe oder Stuttgart oder auf bestimmte Regionen wie Bodensee oder Main-Tauber. 2011 erschien diese Liste offenbar letztmalig. Damals waren es zwölf JN-„Stützpunkte“, jedoch gab es zusätzlich Erkenntnisse über einen „Stützpunkt“ in Lörrach, was in Summe auch wieder 13 ergab.  
Für die Jahre nach 2011 ist ein exakter Vergleich nicht möglich, da die JN offensichtlich Gesamtlisten ihrer „Stützpunkte“ nicht mehr veröffentlichten. In dieser Zeit ließ lediglich das allgemeine Informationsaufkommen, beispielsweise die Berichterstattung zu Baden-Württemberg auf der Internetseite des JN-Bundesvorstands, auf die ungefähre Anzahl der mehr oder minder aktiven „Stützpunkte“ im Land schließen. Diese Zahlen lagen deutlich niedriger als bis einschließlich 2011. Seit 2020 war es als unsicher einzuschätzen, inwieweit die JN überhaupt noch über offizielle „Stützpunkte“ in Baden-Württemberg verfügten.

c. Noch 2006 und 2007 leisteten JN-Demonstrationen einen wenigstens ansatzweise relevanten Beitrag zum rechtsextremistischen Demonstrationsaufkommen in Baden-Württemberg. Die JN veranstalteten in beiden Jahren jeweils sieben Demonstrationen (2006 rund 35, 2007 insgesamt 18 Demonstrationen). Schon ab 2010 führten die JN jedoch kaum noch Demonstrationen durch, in den meisten Jahren seither keine einzige.

d. In früheren Jahren veranstaltete der JN-Landesverband Baden-Württemberg wiederholt eigene Landeskongresse, im Jahr 2012 sogar zweimal. Nach 2015 scheint allerdings kein Landeskongress mehr stattgefunden zu haben. Hinzu kommt, dass seit 2017 kein baden-württembergischer JN-Landesvorsitzender mehr offiziell bekannt wurde. Seither ist unklar, ob die JN im Land überhaupt noch über eine solche offizielle Führungsfigur verfügen. Dazu passt, dass der JN-Landesverband seit 2019 weitgehend inaktiv war.

Fazit

Der organisierte, traditionelle Rechtsextremismus hat in Baden-Württemberg an Bedeutung verloren; der Niedergang der baden-württembergischen JN nach 2010 ist nur ein Teilaspekt davon. Ob also eine einzige Stützpunktgründung eine Trendumkehr festigen oder auch nur einleiten kann – und sei es nur für die JN –, ist mehr als fraglich. Dennoch ist damit zu rechnen, dass die JN im Land wieder stärker in Erscheinung treten. Offen ist ebenso, welchen Effekt die diversen aktuellen Krisen haben, die sich nicht zuletzt auch auf die politische Stimmung im Land auswirken. Hier bleibt abzuwarten, ob sich nicht nur neuen Erscheinungsformen des Extremismus – wie der „Neuen Rechten“ oder der verfassungsschutzrelevanten Delegitimierung des Staates –, sondern auch dem althergebrachten Rechtsextremismus neue Potenziale eröffnen.

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