In einer Kurzanalyse identifiziert das Landesamt für Verfassungsschutz fünf Phasen der IB in Baden-Württemberg und stellt sowohl Kontinuitäten als auch Veränderungen auf ideologischer, organisatorischer und struktureller Ebene dar.
Bei der Befassung mit Rechtsextremismus ist eine Thematisierung der IB kaum mehr wegzudenken, ihre Ideologie und Aktionsformen wurden bereits ausgiebig durch Sicherheitsbehörden, in Wissenschaft und Politik beleuchtet. Ein Rückblick auf ihre langfristige Entwicklung im Südwesten – eine bislang vernachlässigte Perspektive – kann zu einer differenzierten Standortbestimmung der IB in Baden-Württemberg im Hier und Jetzt beitragen und dabei helfen, zukünftige Dynamiken abzuschätzen.
Holzschnittartig lassen sich fünf Phasen der IB in Baden-Württemberg identifizieren:
Eins: die Entstehungsjahre von 2012 bis 2015, die vom Strukturaufbau und ersten öffentlichkeitswirksamen Aktionen geprägt waren,
Zwei: die Jahre 2016 und 2017, in denen die IB bundesweit und regional Aufwind erfuhr und relevante Leuchtturmprojekte realisierte,
Drei: die Zeit zwischen 2018 und 2019, die stark vom Aufbegehren gegen verschiedenste Repressionen geprägt war,
Vier: die Zeitspanne von 2020 bis 2022, in denen die IB-Aktivitäten zurückgingen und die Gruppe in großen Teilen in strategischer Selbstfindung verharrte.
Fünf: Im Jahr 2023 kam es zu einer Kehrtwende, denn für diese Phase lässt sich ein neuerlicher Aufschwung feststellen.
Kontinuitäten und Diskontinuitäten
Zunächst kann für die fünf Phasen eine beträchtliche Kontinuität hinsichtlich der verbreiteten Ideologie und Sprache festgestellt werden. Wie ein roter Faden zieht sich das Narrativ des „Großen Austausches“ von Anfang an durch die Aktivitäten der IB in Baden-Württemberg. Ob auf Bannern, Flyern oder in Facebook-Einträgen, dieses Schlagwort war und ist, wie vom Sprachrohr der deutschsprachigen IB Martin SELLNER angedacht, ein zentrales Motiv ihrer Agitation.
Hinsichtlich der Gesamtstrategie ist ebenfalls eine große Beständigkeit auszumachen. Das gilt sowohl für strategische Grundpfeiler, wie das Prinzip der „Metapolitik“ oder der Idee, durch Flashmob-Aktionen, die nachträglich online verbreitet werden, Aufsehen zu erregen und politische Botschaften zu verbreiten, als auch für Schlagworte wie „Remigration“ oder „Reconquista“. Ebenso langfristig angelegt scheint das Selbstbild vieler IB-Anhänger, als „spartanische Krieger“ – die IB nimmt Bezug auf das antike Sparta – gegen vermeintliche Bedrohungen vorzugehen.
Den beständigen Punkten stehen aber auch deutliche Veränderungen entgegen, die mit dem öffentlich diskutierten Strategiewechsel im Jahr 2021 einhergingen, durch den die IB beispielsweise ihre klar hierarchischen Strukturen aufgab und seither öffentlich nicht mehr klar erkennbar als „Identitäre Bewegung“ auftritt. Das schlägt sich auch in der Ästhetik der IB nieder. Waren zuvor beinahe alle Social-Media-Postings und sonstigen Produkte der IB, wie etwa Flyer, mit den Farben Gelb-Schwarz und dem griechischen Buchstaben Lambda als Symbol der IB versehen, ist das nun nicht mehr der Fall, wie zum Beispiel Inhalte der „Wackren Schwaben“ verdeutlichen. Damit verzichtet die IB auf den Wiedererkennungsfaktor, spricht aber leichter Personen außerhalb ihres eigenen Anhängerkreises an.
Auftritte inzwischen ohne IB-Farben und -Logo, dafür mit Maskierung
Das veränderte Auftreten wird anschaulich, wenn man das Facebook-Posting zu einer Banneraktion im Jahr 2016 in Reutlingen mit dem Instagram-Post zu einer Aktion in Sindelfingen in diesem Jahr vergleicht. Auf beiden Bannern prangt die IB-Forderung nach „Remigration“, allerdings wurden 2016 noch die ursprüngliche gelb-schwarze Farbgebung der Gruppierung sowie das IB-Logo verwendet. 2023 fehlten die IB-Farben und das Logo komplett – und die Beteiligten maskierten nun häufig ihre Gesichter.
Die Organisationsstruktur der IB in Baden-Württemberg blieb über den betrachteten Zeitraum von rund zehn Jahren lange relativ stabil. Die Regionalgruppen Schwaben und Baden unterschieden sich seit Beginn hinsichtlich ihres Auftretens und ihrer Vernetzung. So hatte die IB Baden, die heute praktisch nicht mehr existiert, weniger Berührungsängste mit anderen rechtsextremistischen Gruppierungen, während die IB Schwaben, heute als „Reconquista 21“ (bis Ende Oktober 2023: „Wackre Schwaben“) aktiv, immer stärker die offizielle Linie der deutschsprachigen IB zur Abgrenzung von „altrechten“ Organisationen vertrat und das auch heute noch tut. Charakteristisch für die Organisationsstruktur der IB in Baden-Württemberg war und ist bis heute zudem ihre überregionale Vernetzung, sowohl in andere Bundesländer als auch Länder, hier vor allem nach Frankreich und in die Schweiz.
Fazit: Stetige verfassungsfeindliche Agitation unter veränderten Bedingungen
Alles in allem zeigt sich, dass die baden-württembergischen IB-Gruppen ihre rechtsextremistischen Positionen im vergangenen Jahrzehnt auf unterschiedliche Weise und mit unterschiedlichen inhaltlichen Schwerpunkten verbreitet haben. Die in den Gründungsjahren geschaffenen Strukturen waren lange vergleichsweise stabil, gleichzeitig reagierten die Rechtsextremisten jedoch flexibel auf veränderte Rahmenbedingungen. Abhängig von externen Faktoren – seien es politische Ereignisse oder Repressionen gegen die eigene Gruppe wie Strafverfolgungsmaßnahmen oder die Sperrung von Social-Media-Konten – nahmen die Regionalgruppen strategische und organisatorische Anpassungen vor, ohne aber von ihrer verfassungsfeindlichen ideologischen Grundausrichtung abzurücken. Relativ unverändert blieben damit auch die adressierten Feindbilder und verwendeten Schlagworte. In organisatorischer Hinsicht erwiesen sich die Strukturen der Regionalgruppe Schwaben als besonders dauerhaft. Daneben spielte die bundesweite sowie internationale Vernetzung durchweg eine wichtige Rolle. Dass die IB in Baden-Württemberg zeitnah von der Bildfläche verschwindet, ist derzeit nicht zu erwarten.
Die gesamte Kurzanalyse zu zehn Jahren "Identitärer Bewegung" in Baden-Württemberg finden Sie hier.