Am 15. März 2019 beging der australische Staatsbürger Brenton TARRANT in Christchurch/Neuseeland ein rechtsextremistisch motiviertes Attentat auf zwei Moscheen, bei dem 51 Menschen getötet und zahlreiche Anwesende verletzt wurden. Im Vorfeld des Attentats bewegte sich TARRANT in rechtsextremistischen Online-Unterforen von sogenannten „Imageboards“ und veröffentlichte dort ein „Manifest“ mit rechtsextremistisch-ideologischen Begründungen für seine Tat. Das Attentat selbst übertrug TARRANT mittels einer Helmkamera live in einem sozialen Netzwerk. Damit legte TARRANT den Grundstein für die „Attentäter-Fanszene“ und dient vielen Akteuren in der Szene als Vorbild. So wurden u. a. sowohl das Attentat am 09. Oktober 2019 durch Stephan BALLIET in Halle (Saale) als auch das Attentat am 14. Mai 2022 durch den US-amerikanischen Staatsbürger Payton GENDRON in Buffalo/USA in Anlehnung an das Attentat von TARRANT geplant und durchgeführt.
Das ideologische Fundament: Die „SIEGE-Culture“
Die rechtsextremistische Online-Subkultur der sogenannten „SIEGE-Culture“ entspringt den Ideen des US-amerikanischen Rechtsextremisten James MASON. MASON veröffentlichte diese 1993 in seinem Buch mit dem Titel „SIEGE“. Er propagiert darin einen gewaltbereiten und führerlosen Widerstand der rechtsextremistischen Szene gegen die demokratische Mehrheitsgesellschaft. Die Ideen MASONs haben heute in der rechtsextremistischen Online-Community eine Art „Kultstatus“. Innerhalb dieser Community wurde die „SIEGE-Culture“ um die Idee des „Akzelerationismus“ (lat. accelerare „beschleunigen“) ergänzt: Erklärtes Ziel ist die schnellstmögliche Herbeiführung des Zusammenbruchs des demokratischen Systems. Die Rechtsextremisten planen, innere Konflikte durch Gewalttaten so auszuweiten, dass es zu einem revolutionären Umsturz kommt. Zusammen mit weiteren Online-Subkulturen wie der Incel-Szene oder der Amok-Fanszene sowie dem rechtsextremistischen Verschwörungsnarrativ des „Großen Austauschs“ bildet die „SIEGE-Culture“ das ideologische Fundament für die „Attentäter-Fanszene“.
Die Glorifizierung auf Imageboards und Messenger-Diensten
Die Attentäter werden im Internet regelrecht glorifiziert. Dies geschah zuerst in rechtsextremistischen Online-Unterforen von Imageboards, mittlerweile aber auch über Messenger-Dienste wie z. B. Telegram. Ihre Fans treten meist anonym und in losen, international zusammengesetzten Online-Kleingruppen auf. Meist sind es auffällig junge, männliche Personen, die keine Anbindung an „klassische“ rechtsextremistische Szenestrukturen haben. Der menschenverachtende Umgangston innerhalb dieser Gruppen ist durchgehend rassistisch, antisemitisch und gewaltbefürwortend. Schwarze Menschen werden beispielsweise als „Nigger“ oder jüdische Menschen als „Kikes“ (engl. Schimpfwort für jüdische Menschen) beleidigt und herabgewürdigt. Gängig ist die Verbreitung von rechtsextremistischen Propagandamaterialien, das Teilen von Videoaufnahmen von rechtsextremistisch motivierten Attentaten oder die Darstellung von Rechtsterroristen mittels einschlägiger Memes als sogenannte „Saints“ (Heilige). Immer wieder wird auch darüber gesprochen, selbst ein Attentat zu begehen.
Zwei aktuelle Fallbeispiele aus Baden-Württemberg
Auch in Baden-Württemberg treten immer wieder Personen auf, die der „Attentäter-Fanszene“ zugeordnet werden müssen. Ende des Jahres 2023 äußerte sich eine zum Tatzeitpunkt 16-jährige männliche Person aus Baden-Württemberg in mehreren einschlägigen Telegram-Chatgruppen offen rassistisch, antisemitisch und extrem gewaltorientiert. Zudem äußerte sie abstrakte Attentats- und Tötungsfantasien und bezog sich dabei auf TARRANT. Bei der Person wurden in der Folge Durchsuchungsmaßnahmen durchgeführt und ein Strafverfahren wegen der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat (§ 89a StGB) eingeleitet. Anfang des Jahres 2024 wurde eine zum Tatzeitpunkt 14-jährige männliche Person aus Baden-Württemberg in mehreren einschlägigen Telegram-Chatgruppen mit antisemitischen und gewaltorientierten Aussagen auffällig. In diesem Zusammenhang äußerte der Jugendliche abstrakte Attentats- und Tötungsfantasien gegen Juden und eine Lehrerin. Es wurde ein Strafverfahren wegen der Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten (§ 126 StGB) eingeleitet und Durchsuchungsmaßnahmen bei der Person durchgeführt.
Bewertung
Die Online-Akteure der „Attentäter-Fanszene“ sind oftmals noch relativ jung. Dennoch weisen sie eine extreme Gewaltaffinität auf, wodurch sie innerhalb der Szene sowohl sich selbst als auch andere Personen immer weiter radikalisieren. Auch wenn es sich „nur“ um ein Phänomen im virtuellen Raum handelt, behalten die Sicherheitsbehörden dieses weiterhin intensiv im Blick. Auf diese Weise können sie potenzielle rechtsextremistische Gewalttäter oder Rechtsterroristen frühzeitig erkennen und möglicherweise geplante Attentate rechtzeitig verhindern.