ISLAMISMUS

„Zur Verteidigung des Koran“ – das Attentat von Mannheim im Fokus von al-Qaida

Al-Qaida auf der arabischen Halbinsel (AQAP) widmet die jüngst erschienene, achte Ausgabe des Online-Magazins „INSPIRE GUIDE“ dem islamistischen Messerangriff vom 31. Mai 2024 in Mannheim. Auf rund fünf Seiten präsentiert AQAP den Anschlag als Form des Widerstands gegen islamfeindliche Strömungen in Deutschland, glorifiziert den Attentäter und ruft zu ähnlichen Taten auf.

Am 31. Mai 2024 starb der Polizist Rouven Laur bei einem Messerangriff auf Michael STÜRZENBERGER, Vorsitzender der islamfeindlichen Bewegung „Pax Europe“. Fünf weitere Personen wurden schwer verletzt. Nur kurze Zeit später veröffentlichte der jemenitische al-Qaida-Ableger AQAP den „INSPIRE GUIDE 8“. In dem Online-Magazin berichten die Herausgeber ausführlich über den Anschlag und präsentieren den Attentäter Sulaiman A. als Helden, der mit seinem Einsatz den Islam verteidigt hat. 

Online-Magazine sind ein bewährtes Medium, um die islamistische Ideologie einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Bekannt wurden sie insbesondere durch den Islamischen Staat (IS), der diese Art der Öffentlichkeitsarbeit zwar nicht erfunden, aber durch mehrere, hauseigene Formate nahezu perfektioniert hatte. Magazine wie „DABIQ“ oder „RUMIYAH“ wurden zwischen 2014 und 2017 medienwirksam über das Internet verbreitet und von Islamisten auf der ganzen Welt gelesen. Besonderes Merkmal der Publikationen waren aufwändig geschriebene Texte und detaillierte Illustrationen. Ein solch professionelles Vorgehen bei der Erstellung von jihadistischen Propaganda-Magazinen war zum damaligen Zeitpunkt ein Novum.

Aber auch al-Qaida hat in der Vergangenheit zahlreiche Online-Publikationen mit unterschiedlichen Schwerpunkten veröffentlicht. „Thabat“ widmet sich beispielsweise eher theologischen Themen, während in „WOLVES of MANHATTAN“ explizit zu Vergeltungsmaßnahmen gegen den Westen aufgerufen wird.

Das bekannteste Magazin eines al-Qaida-Ablegers trägt den Titel „INSPIRE“ und erschien zwischen 2010 und 2017 insgesamt 17 Mal. In der reichweitenstarken Publikation rief die Organisation aktiv zu Anschlägen gegen den Westen auf und feierte bereits erfolgte Angriffe und Attentäter. Texte, darunter Botschaften von Osama bin Laden, wurden in Englischer Sprache veröffentlicht und erreichten so ein breites Publikum. Ab 2017 wurde es ruhig um die Publikation. Erst vier Jahre später, im Jahr 2021, erschien ein neues, stark gekürztes Format des Magazins. Trotz des weiterhin englischen Titels „INSPIRE GUIDE“ waren die Texte von nun an hauptsächlich auf Arabisch. Interessanterweise findet sich die aktuelle Ausgabe, die sich mit dem Attentat von Mannheim befasst, zusätzlich in französischer Sprache. 

Wie der Name bereits andeutet, möchte AQAP mit dem „INSPIRE GUIDE“ zu weiteren Taten inspirieren und anleiten. Zukünftige Attentäter sollen mit einfachen und effizienten Mitteln noch effektivere Operationen durchführen und islamkritische Veranstaltungen und Demonstrationen sowie deren Genehmiger ins Visier nehmen.

Die Ausgabe zu dem Attentat in Baden-Württemberg umfasst fünf Seiten und enthält zahlreiche Bilder, die den Attentäter bei der Tatausübung sowie den verletzten STÜRZENBERGER zeigen. AQAP sieht in dem Angriff einen glorreichen Akt zur Verteidigung des Korans, da Demonstrationen und Infostände von „Pax Europe“ und ähnlichen, islamkritischen Gruppen in Ihren Augen eine direkte Bedrohung des Islam darstellen. Sulaiman A. wird zum Helden stilisiert, der durch seine Tat die „Herzen der Muslime“ erreicht und „deren Brust erleichtert“ habe. Al-Qaida betont dabei, dass Sulaiman A. seine Pflichten als Familienvater aufgegeben habe, um sich dem Jihad zuzuwenden. 

Auch an die Bundesregierung wird eine Warnung ausgesprochen: Sie solle solche Demonstrationen, die „die Gefühle der Muslime provozieren“ nicht länger genehmigen. Bekräftigend wird hier auf den Tod des Polizisten Rouven Laur eingegangen, der zum „Teil der Regierung“ gemacht wird. 

Abschließend ruft die Gruppierung zur weiteren Umsetzung des sogenannten „Open-Source-Jihad“ auf. Der Terminus, der auch schon in früheren Veröffentlichungen verwendet wurde, bezeichnet die „moderne“ Strategie der Ausübung von Terroranschlägen: Während früher geplante und komplexe Operationen im Fokus standen, beispielsweise bei den Terroranschlägen vom 11. September 2001 oder bei den Anschlägen in Paris vom November 2015, wird nun der Einzelne zu Angriffen mit einfachen Haushaltsmitteln aufgerufen. Schon in der ersten Ausgabe des „INSPIRE“-Magazins aus dem Jahr 2010 wurde in dem Beitrag „How to make a bomb in the kitchen of your mom“ (zu Deutsch: Wie du eine Bombe in der Küche deiner Mutter baust) erläutert, wie ein Druckkochtopf zu einer Bombe umfunktioniert werden kann. Das Prinzip nutzten die Brüder TSARNAEV drei Jahre später für ihren Anschlag auf den Boston Marathon. Dzokhar TSARNAEV verwies sogar explizit auf das „INSPIRE“-Magazin, dem sie die Anleitung entnommen hatten. Auch die Verwendung von größeren Fahrzeugen als Waffe auf Rädern wird propagiert und fand in der Vergangenheit Anwendung, beispielsweise bei dem Anschlag auf den Breitscheidplatz im Jahr 2016. Die Neuausrichtung des Jihad mit einem Fokus auf Attentate durch Einzelakteure ist unter anderem auf die konsequente Bekämpfung islamistischer Terrororganisationen weltweit zurückzuführen, die eine Umsetzung von Anschlägen durch koordinierte Angriffstrupps erschwert. Durch militärische Interventionen wurden Führungsebene und allgemeine Strukturen der al-Qaida nachhaltig geschwächt, wodurch die Organisation neue Wege zur Durchführung von Terroranschlägen gegen die Feinde im Westen suchte und sie in der Mobilisierung von Einzelpersonen fand. 

Die achte Ausgabe des „INSPIRE GUIDE“ erschien relativ kurz nach der siebten Ausgabe, die im April 2024 publiziert worden war. AQAP scheint somit ihre propagandistischen Mittel wieder zu intensivieren. Erfolgreiche Anschläge werden aufgegriffen und instrumentalisiert – auch wenn diese, wie im Falle Mannheim, nicht direkt al-Qaida zugeschrieben werden. 

Bewertung

Al-Qaida widmete dem Messerangriff in Mannheim eine ganze Ausgabe seiner Online-Veröffentlichung „INSPIRE GUIDE“, die nicht nur auf Arabisch sondern auch auf Französisch erschien. Dies zeigt, dass die Rache für eine Verunglimpfung des Islam, des Koran oder des Propheten sowie jeder Akt zur „Verteidigung“ des Islams weiterhin zentrale Bestandteile jihadistischer Narrative sind. Propagandistische Veröffentlichungen, wie beispielsweise jihadistische Magazine, bleiben schon aufgrund ihrer starken Verbreitung und ihres niedrigschwelligen Zugangs ein ernstzunehmendes Phänomen, das auch von Sicherheitsbehörden genaustens beobachtet wird. Sie können zu Radikalisierungsprozessen beitragen und Einzeltäter explizit zu Anschlägen animieren. Es bleibt abzuwarten, ob AQAP und andere islamistische Gruppierungen ähnliche Attentate auch in Zukunft aufgreifen werden, und ob gegenseitige Lobhuldigungen gar zu einem ideologischen Schulterschluss unter ehemals konkurrierenden, jihadistischen Organisationen führen.

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