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Islamismus

Die Bundestagswahl 2025: Die islamistische Szene in Baden-Württemberg

Die islamistische Szene in Baden-Württemberg zeigt derzeit wenig bis kein Interesse an der Bundestagswahl 2025. Bei den vom Landesamt für Verfassungsschutz Baden-Württemberg (LfV) beobachteten Organisationen und Gruppierungen sowie in den sozialen Medien wird das Thema kaum behandelt. Dies liegt vor allem an der islamistischen Ideologie, die grundsätzlich eine ablehnende Haltung gegenüber dem parlamentarischen Wahl- und Parteiensystem einnimmt. Teilweise werden demokratische Wahlen jedoch als strategisches Instrument gesehen, um den eigenen Einfluss zu vergrößern.

Allen Islamisten gemein ist die Auffassung, dass die höchste politische Souveränität nicht vom Volk, sondern allein von Allah ausgeht. Die Volkssouveränität wird hingegen als „Beigesellung“ (arab. shirk) zu Allah und als analog zum vorislamischen Götzendienst gewertet und strikt abgelehnt. Da sich nach deren Auffassung die göttlichen Willensbekundungen nur aus Koran und Sunna ableiten lassen, wären zu deren Interpretation und Umsetzung aber dennoch immer menschliche politische Autoritäten notwendig. Die aktive Beteiligung am Wahlprozess zur Bestimmung dieser politischen Autoritäten und zur Gestaltung der politischen Entscheidungsfindung wird je nach islamistischer Strömung unterschiedlich bewertet.

Salafisten stehen einer politischen Partizipation in Form von Parteienpolitik grundsätzlich kritisch bis ablehnend gegenüber. Die sogenannte „Parteilichkeit“ (arab. hizbiyyah) wird als Fanatismus und daher als gesellschaftliche Spaltung angesehen. Im internationalen Kontext finden sich jedoch Gegenbeispiele wie die salafistische „An-Nour-Partei“ in Ägypten, die ihre Teilnahme am parlamentarischen Prozess als pragmatischen Weg zur Etablierung eines islamistischen Staates rechtfertigt. Die Stimmabgabe für eine nicht-islamistisch orientierte Partei wird hingegen prinzipiell als Unterstützung eines ungläubigen und „götzendienerischen“ Systems abgelehnt. Zur Abwendung eines größeren Schadens für die muslimische Gemeinschaft wie beispielsweise ein Erstarken der rechtspopulistischen AfD, so argumentierte der deutsche Salafist Pierre VOGEL bereits 2017, sei es jedoch erlaubt, das geringere Übel zu wählen. 

Die Gruppierung „Realität Islam“ (RI), die der 2003 in Deutschland verbotenen „Hizb ut-Tahrir“ (HuT) nahesteht, erklärte in einem YouTube-Video vom 2.2.2025 solche opportunistischen Begründungen zur Wahlbeteiligung für unzulässig. Jegliche legislative Ordnung, an dessen Spitze nicht Allah und seine Gesetze stehen, ist für die RI  illegitim. Muslime dürften sich an diesem Prozess nicht beteiligen. Ungeachtet dessen hätten alle Parteien Anteil an einer vermeintlich islamfeindlichen Politik in Deutschland.

Legalistische Islamisten wie die arabisch-dominierte „Muslimbruderschaft“ (MB) mit ihrem deutschen Ableger „Deutsche Muslimische Gemeinschaft“ (DMG) oder die türkisch geprägte „Islamische Gemeinschaft Milli Görüş e.V.“ (IGMG) haben ein großes Interesse an politischer Einflussnahme in Deutschland und sind daher offen für eine parlamentarische Beteiligung. In der Online-Ausgabe der Verbandszeitung der IGMG, „camiahaber“, erschien beispielsweise am 16.1.2025 ein Artikel des IGMG-Vorsitzenden Kemal ERGÜN mit dem Titel „Was wir bei den Wahlen in Europa tun müssen“. Darin gibt ERGÜN zwar keine konkrete Empfehlung zugunsten einer Partei ab, warnt aber deutlich vor dem Erstarken der Rechtsextremisten. Er erinnert gar daran, dass die Stimmabgabe nicht nur ein Recht, sondern eine Verantwortung und eine Notwendigkeit der Demokratie darstelle. Die beste Antwort, die man auf die aktuellen Herausforderungen geben könne, sei, zur Wahl zu gehen, sich überall noch stärker in die Gesellschaft einzubringen und eine „richtige“ Haltung einzunehmen. Für die IGMG stellt es keinen Widerspruch dar, sich einerseits an demokratischen Prozessen zu beteiligen und andererseits intern islamistische Positionen zu vertreten. Legalistische Islamisten streben nach Schlüsselpositionen in Gesellschaft, Politik und Wirtschaft, verfolgen eigene Themensetzungen im öffentlichen Diskurs und betreiben politischen Lobbyismus. Eine politische Einflussnahme von Anhängern der Muslimbruderschaft oder IGMG über die Mitgliedschaft in etablierten Parteien ist in Deutschland aktuell nicht erkennbar, in anderen europäischen Ländern jedoch zumindest vereinzelt vorhanden. 

Jihadisten lehnen eine Teilnahme am parlamentarischen Prozess in Deutschland ab. Sie begreifenden demokratischen Rechtsstaat als Ganzes als ungläubiges System und sind danach bestrebt, dieses gewaltsam abzuschaffen. Derzeit ist keine konkrete Gefährdungslage erkennbar. Die Gefahr von jihadistischen Anschlägen ist jedoch ungeachtet der Bundestagswahl 2025 weiterhin abstrakt hoch. Weiche Ziele wie Wahlveranstaltungen mit vielen Personen stellen grundsätzlich ein mögliches Ziel von jihadistischen Anschlägen dar. Das Ziel wären nicht nur menschliche Opfer, sondern die symbolische Schädigung der Grundprinzipien des demokratischen Rechtstaats, in diesem Fall in Gestalt einer ungehinderten Vorbereitung und Durchführung von Wahlen. Bereits in der Vergangenheit haben jihadistische Organisationen wie der IS zu Anschlägen im Kontext von demokratischen Wahlen aufgerufen, sodass entsprechende Aufrufe auch für 2025 erwartbar sind.