Betrachtet man rechtsextremistische Akteure und ihre Positionen im Hinblick auf Europa, stehen der EU Gegenkonzepte gegenüber, die teilweise sogar auf Europaideen aus der Zeit des Nationalsozialismus Bezug nehmen. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs hatten sich die europäischen Nationalstaaten auf verschiedenen Ebenen angenähert. Im Prozess der europäischen Integration, der in den 1950er Jahren begann und sich stetig fortentwickelte, stellte die Gründung der EU 1993 mit dem Vertrag von Maastricht eine Wegmarke dar.
Gegenentwürfe zur EU und Abgrenzung nach außen
Diese Entwicklung beäugten rechtsextremistische Gruppierungen seit jeher kritisch. Obwohl Rechtsextremisten aktuell häufig
eine große Verbundenheit europäischer „Völker“ und Kulturen betonen, lehnen sie die EU rundheraus ab. In ihr
sehen sie unzählige vermeintliche Fehlentwicklungen der Gegenwart verkörpert, unter andrem die Abgabe nationaler
Souveränität sowie verordnete Regulierungen zu Klimaschutz und Migration. Die Anti-Haltung zeigt sich beispielsweise in Slogans
der „Identitären Bewegung Deutschland“ (IBD), wenn sie unter ihrem Logo Aufkleber mit „Ja Europa, Nein Union!“
vertreibt.
In den vergangenen Jahrzehnten gab es immer wieder Bemühungen aus dem rechtsextremistischen Spektrum, der EU eigene Entwürfe von Europa gegenüberzustellen. So strebte etwa die mittlerweile aufgelöste „Europäische Aktion“ (EA) die „Schaffung einer europäischen Eidgenossenschaft“ an.
Gleichzeitig scheuen Rechtsextremisten sich nicht, das abstrakte Konzept von „Europa“ als wichtigen Referenzpunkt zu nutzen, wenn es um die Abgrenzung nach außen geht: So wendet man sich derzeit in der Szene vor allem gegen außereuropäische Migration, wie das weit verbreitete Schlagwort „Festung Europa“ zeigt.
Umgang von Rechtsextremisten mit der einstigen Sowjetunion und der Russischen Föderation heute
Im Osten Deutschlands war die Sowjetunion und nach deren Zerfall in den 1990er Jahren die Russische Föderation eine politische Großmacht, zu der sich rechtsextremistische Akteure verschiedentlich ins Verhältnis setzten. Während des Kalten Krieges nahm man die Sowjetunion in der Bundesrepublik Deutschland weithin als Bedrohung wahr, gerade mit Blick auf eine erhoffte Wiedervereinigung. Auch in der rechtsextremistischen Szene waren antisowjetische beziehungsweise antikommunistische Positionen verbreitet.
Immer wieder zeigte und zeigt sich in diesem Milieu aber auch Russlandbegeisterung. So veranstaltete der 2008 verbotene Verein „Collegium Humanum“ bereits im Jahr 1982 eine Russlandreise und stellte das Land, im Gegensatz zum damals weit verbreiteten Antikommunismus, als Rückzugsort eines ursprünglichen und moralisch integren Volkes dar. Das 1963 gegründete „Collegium Humanum“ betrieb in Nordrhein-Westfalen ein Schulungszentrum, in dem vor allem junge Menschen mit rechtsextremistischem Gedankengut indoktriniert werden sollten. Der Verein wurde von der Holocaustleugnerin Ursula Haverbeck-Wetzel geleitet.
Seit mehreren Jahren gibt es in der rechtsextremistischen Szene viele Anhänger des russischen Publizisten Alexander Dugin und seines geopolitischen Konzepts eines „Neo-Eurasismus“. Demnach sollten sich die kontinentaleuropäischen Nationen zusammenschließen, um die USA einzuhegen. Die Rezeption ist aber nicht einhellig positiv, auch hier gibt es viele Zwischentöne. Daneben ist strittig, ob man sich in einem weiter gefassten „Kulturkampf“ nicht stärker mit Russland zusammentun müsse – hier blickt man in der Szene zum Beispiel mit Begeisterung auf die dortigen Einschränkungen queerer Lebensweisen. Zumindest Erik Ahrens, Gründer des IB-Projekts „GegenUni“, äußerte sich wie folgt: „Für den noch jungen, unausgereiften Blick steht Russland also schlicht für alles, womit auch der rechte Dissident unglücklich ist – ein natürlicher Verbündeter und Vorbild.“ Die jeweilige nationale Souveränität wollen die meisten Rechtsextremisten bei einem Annäherungsprozess aber natürlich nicht einbüßen.
Diese Zweideutigkeiten innerhalb der Szene spiegeln sich auch in Reaktionen auf den Angriff Russlands auf die Ukraine im Februar 2022 wider. So schlugen sich mehrere Rechtsextremisten auf die Seite Russlands und verweigerten damit auch gezielt den Kurs der Bundesregierung und der Europäischen Union. Gleichzeitig gibt es ein Lager, das den ukrainischen Kampf um nationale Selbstbestimmung unterstützt. Besonders stark macht sich hier die neonazistische Kleinpartei „Der III. Weg“, die auf ihrer Homepage am 9. Juli 2023 ausführt, dass sie in der Russischen Föderation keinen natürlichen Verbündeten sieht, sondern sie „aufgrund ihres ethnischen Wirrwarrs und ihrer geographischen Dimension als Vorposten und Teil Asiens“ ansieht. Einzelne Rechtsextremisten sind sogar gegen Russland in den Krieg gezogen. Etwa der Russe Denis Kapustin, der lange in Deutschland lebte und innerhalb der internationalen rechtsextremistischen Szene gut vernetzt ist. Er kämpft auf Seiten der Ukraine und gründete dafür im August 2022 das „Russische Freiwilligenkorps“.
Die USA als zentrales Feindbild
Die USA sind seit vielen Jahrzehnten in großen Teilen der deutschen rechtsextremistischen Szene ein zentrales Feindbild. Ein Grund dafür ist die Missbilligung ihrer Rolle im Zweiten Weltkrieg bei der Niederschlagung des Nationalsozialismus und ein damit verbundenes behauptetes Andauern der militärischen Besatzung Deutschlands. Weitere Gründe sind zum Beispiel Kapitalismuskritik, häufig verknüpft mit antisemitischer Stoßrichtung durch Codes wie „Ostküste“ oder „Hochfinanz“, und einer allgemeinen Abneigung gegenüber kulturell „westlichen“ beziehungsweise „modernen“ Einflüssen, etwa in der Musik oder durch den Gebrauch englischer Begriffe in der deutschen Sprache.
In aktuellen Strömungen, die sich vorwiegend im virtuellen Raum zeigen, erscheint diese Form von Antiamerikanismus weniger stark ausgeprägt – im Gegenteil finden sich hier durch den gemeinsamen Nenner eines propagierten Kampfes für die „weiße Rasse“ sogar internationale Schulterschlüsse zwischen deutschen und US-amerikanischen Rechtsextremisten. Ein Beispiel dafür ist die rechtsterroristische Vereinigung „Atomwaffen Division“ (AWD), die in den USA entstanden ist und 2018 erstmals in Deutschland in Erscheinung trat.
Ambivalenzen im Verhältnis zu den USA wurden insbesondere während der Amtszeit von Donald Trump sichtbar. So verurteilten weite Teile der Szene einerseits nach wie vor die ihrer Meinung nach an den Vereinigten Staaten von Amerika zu kritisierenden Punkte. Andererseits stießen Trumps Kurs in der Migrationspolitik und sein autoritärer Stil auf Zustimmung. Eine neue Dynamik entstand durch den Krieg in der Ukraine. Dabei wurden die USA häufig als Kriegstreiber dargestellt. Das rechtsextremistische COMPACT-Magazin lancierte Ende 2022 zum Beispiel die Kampagne „Ami go home“, die sich, wie in der Abbildung zu erkennen ist, gegen die „Besatzer“ USA wandte. Damit beabsichtigte man laut einem Homepagebeitrag des Magazins vom 27. November 2022 „die Konzentration aller Proteste auf den Hauptfeind, das US-Besatzungsregime“ und organisierte beispielsweise eine Demonstration vor dem US-Konsulat in Leipzig.
Fazit: Nationale Souveränität und Suche nach Verbündeten
Die hier angeführten Punkte werfen einzelne Schlaglichter auf ein komplexes Feld. Entsprechende geopolitische Standpunkte sind nicht nur innerhalb der rechtsextremistischen Szene äußerst heterogen, sie sind auch hochgradig dynamisch. So unterliegen sie ständigen Neujustierungen, abhängig von konkreten historischen Ereignissen, politischen Machtverschiebungen in den jeweiligen Nationen oder dem konkreten praktischen beziehungsweise strategischen Nutzen, den sich die Akteure von einer Positionierung versprechen. Das zentrale Spannungsfeld besteht zwischen der ersehnten nationalen Souveränität und der Suche nach Verbündeten. Beachtenswert ist dabei: Die Freund- und Feindbestimmung dient auch immer der Kommunikation von Werten und Zielen an die eigene Anhängerschaft. Ausgehend von diesen Projektionen – also der Behauptung, wofür die jeweils anderen stehen – kann deutlicher herausgestellt werden, welchen Zielen man sich selbst verschrieben hat.