ISLAMISMUS

IGMG bildet künftige Führungskräfte aus: Fokus auf türkisch-islamischer Identität

Als größte und bedeutendste Organisation des legalistischen Islamismus in Deutschland hat die „Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e.V.“ (IGMG) vor rund 15 Jahren begonnen, Jugendliche im Rahmen ihres Schulungsprogramms „Yıldız Gençlik“ („Stern-Jugend“) an künftige Leitungsaufgaben in der Organisation heranzuführen. Im Lauf der dreijährigen Schulung werden männliche Jugendliche, laut Ausschreibung, zu „bewussten Muslimen“ herangebildet. Im Anschluss an die Schulung sollen sie dann, bei freier Universitäts- und Fächerwahl, ein Hochschulstudium absolvieren. Insgesamt sollen sie so in die Lage versetzt werden, in den Ortsvereinen der IGMG auf verschiedenen Feldern verantwortungsvolle Aufgaben zu übernehmen. Ein Pendant für junge Frauen mit Ambitionen auf eine Führungsposition in der IGMG besteht in dem Projekt „Hilal Gençlik“ („Halbmond-Jugend“). Vom IGMG-Regionalverband Köln aus, wo das Projekt „Yıldız Gençlik“ seinen Anfang nahm, folgte zunächst die Umsetzung in den Regionalverbänden Hannover, Ruhr-Nord und Düsseldorf, mit der Perspektive einer Erweiterung auf sämtliche Regionalverbände der Organisation.

In Baden-Württemberg warb die IGMG im Sommer 2023 in ihren Regionalverbänden Württemberg und Freiburg-Donau verstärkt um männliche Jugendliche, die in der Regel bereits im örtlichen Moscheeverein aktiv und an diesem Ausbildungsangebot interessiert sein könnten. Das Beispiel des Regionalverbands Württemberg zeigt, dass die Organisation gezielt leistungsbereite Jugendliche im Alter zwischen 15 und 17 Jahren in den Blick nimmt. Ein ausgewählter Kreis von Bewerbern wird zunächst zum Interview geladen und auf Eignung überprüft. Der Ausschreibung zufolge besteht das Ziel bei der Zulassung darin, sich „Schüler mit hohem Potenzial zunutze zu machen, ihre Fähigkeiten auf islamischen Gebieten zu entwickeln und sie zu Individuen zu erziehen, die die Verantwortung, die die islamische Religion mit sich bringt, verstehen und diese Verantwortung übernehmen können“. Um am Projekt teilzunehmen, müssen die Jugendlichen bestimmte Voraussetzungen erfüllen: Eine regelmäßige Kursteilnahme ist ebenso erforderlich wie das Ablegen von Prüfungen, die Beteiligung am sogenannten „Yıldız“-Predigtwettbewerb ebenso obligatorisch wie der Besuch eines Ausbildungscamps. Das Unterrichtsvolumen beträgt 14-tägig vier Unterrichtsstunden, monatlich fällt eine Teilnahmegebühr von 40 Euro an.

Es wird an ideelle Leitfiguren angeknüpft 

Die in der Ausschreibung genannten Themen der einzelnen Unterrichtsmodule machen eine stark von der Vorbildfunktion bestimmter IGMG-relevanter Personen geprägte inhaltliche Ausrichtung deutlich: „Personen, die in der Geschichte Spuren hinterließen“ und „Vorbildhafte Persönlichkeiten“, so der Ausschreibungstext, sollen für Funktionäre und Organisationsangehörige in der Gegenwart handlungsleitend wirken. Dabei wird an Persönlichkeiten der islamischen Frühzeit – die Prophetengefährten und die „ehrwürdigen Altvorderen“ – sowie verstorbene Führungspersonen der „Milli Görüs“ und ideologisch nahestehende Persönlichkeiten als ideelle Leitfiguren angeknüpft. Es sind dieselben Personen, die regelmäßig Gegenstand von Gedenk- oder Gesprächsveranstaltungen, Projekten oder Vorträgen der IGMG sind. Bemerkenswert ist, dass im Rahmen der „Yıldız Gençlik“-Schulung auch ein Modul „Tagespolitik“ zu finden ist – definiert sich die IGMG doch ihrem Selbstverständnis entsprechend vordergründig als Religionsgemeinschaft ohne politische Ambitionen. Es scheint jedoch, dass die Organisation bestrebt ist, ihrem künftigen Führungspersonal die eigene Sichtweise auf politische Ereignisse und Entwicklungen zu vermitteln. Das würde sich auch mit dem Streben nach inhaltlicher und formaler Übereinstimmung der Organisationszentrale in Köln und der nachgeordneten regionalen Ebenen decken.

Individuum nicht als Bürger im Staat, sondern als gläubiger Muslim definiert

Betrachtet man die in der Ausschreibung explizit genannten Ziele, die die IGMG mit der Ausbildung der Jugendlichen anstrebt, so ergibt sich das Bild einer Gemeinschaft, die sich selbst eindeutig einem ethnisch-nationalen und kulturellen Kontext („türkisch“) und gleichzeitig einem religiösen Bezugsrahmen („islamisch“) zuordnet. Mit der von der IGMG genannten Zielsetzung der „Verbindung mit ihren Wurzeln“ und des „Eintretens für ihre Identität“ wird klar, dass die selbstbewusste Wahrung der türkisch-islamischen Identität eines der wesentlichen Anliegen, ja der Kernbestandteil des Selbstverständnisses der IGMG ist und bleibt; das ist integrationshemmend und birgt die Gefahr des Abgleitens in extremistische Positionen. Wenn als weitere Ziele das „Einimpfen des Bewusstseins der Dienerschaft gegenüber Allah und die Stärkung dieses Bewusstseins“ ebenso wie das „Verständnis des Wertes des erhabenen Koran und der Handlungsweisen unseres Propheten und deren Umsetzung“ definiert werden, so sind die Leitlinien des Denkens und Handelns eines IGMG-Angehörigen damit klar bestimmt: seine Selbstverortung ist nicht – zumindest nicht zuvorderst – die des Bürgers im Staat, sondern des „Dieners“, der sich dem Willen Allahs unterstellt und sich an den Werten des Koran und den Handlungen des Propheten (Sunna) orientiert. Ausdrückliches generelles Anliegen ist schließlich, laut Ausschreibung der IGMG, die „Bedeutung des Bewusstseins als Organisation und als Umma [islamische Weltgemeinschaft]“ zu erläutern und „zur Schaffung einer starken Gemeinschaft in Einheit und Solidarität“ hinzuführen; hiermit ist eine „einige und solidarische muslimische Gemeinschaft“ gemeint. Das Individuum wird nicht vorrangig als Bürger im Staat, sondern als gläubiger Muslim definiert. Hier ist zuweilen also ein Spannungsfeld zwischen religiösem Gedankengut und den Werten des modernen freiheitlichen Verfassungsstaates wahrnehmbar.

Wie beteiligt sich die IGMG künftig an gesellschaftlichen Prozessen? 

In Anbetracht der umfassenden Bedeutung der islamischen Religion als Prinzip der Lebensordnung und -gestaltung stellt sich die Frage nach der Verortung der IGMG in der hiesigen Gesellschaft. Die inhaltliche Ausrichtung des Schulungsprogramms „Yıldız Gençlik“ (sowie „Hilal Gençlik“) für junge Führungsfunktionäre legt nahe, dass angesichts der Selbstverortung innerhalb der islamischen Weltgemeinschaft die Vernetzung mit anderen muslimischen Akteuren handlungsleitendes Anliegen der IGMG bleibt, ebenso wie die Selbstwahrnehmung als Teil eines ethnischen türkischen Kollektivs. Fest steht, dass die von der IGMG ausgebildeten Jungfunktionäre mit Kompetenzen ausgestattet werden, deren Ziel es ist, die Anschlussfähigkeit an unterschiedliche gesellschaftliche, religiöse und soziale Milieus und Akteure zu befördern – beispielsweise Kommunalverwaltungen, Kirchengemeinden oder Einrichtungen der Wohlfahrtspflege. Es wird weiterhin aufmerksam zu beobachten sein, ob und in welcher Form sich die IGMG an gesamtgesellschaftlichen Prozessen beteiligt und welche ihrer handlungsleitenden Maximen sie in unterschiedlichen Kontexten einzubringen und umzusetzen versucht.

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