„Stützpunktgründung“ im Oktober 2022 in Kirchberg an der Jagst
2022 war der baden-württembergische JN-Landesverband, wie schon in den Vorjahren, zumindest bis in den Oktober hinein weitgehend
inaktiv. Am 23. Oktober 2022 vermeldete er jedoch im Internet, dass in Anwesenheit des JN-Bundesvorsitzenden Sebastian WEIGLER aus
Niedersachsen eine „Stützpunktgründung Baden-Württemberg“ erfolgt sei. Wo und wann diese stattgefunden
hat bzw. für welche Region in Baden-Württemberg der „Stützpunkt“ zuständig sein soll, ging aus der kurzen
Meldung nicht hervor. Im Nachgang wurde jedoch bekannt, dass die Gründung im Rahmen eines „Gemeinschaftstags“ der JN am
Wochenende vom 14. bis 16. Oktober 2022 in einem rechtsextremistischen Szeneobjekt in Kirchberg an der
Jagst-Herboldshausen erfolgt ist. In einem Bericht auf der JN-Homepage vom 24. Oktober 2022 über den
„Gemeinschaftstag“ wurden zwar weitere Details der Veranstaltung genannt, die Stützpunktgründung jedoch nicht
erwähnt.
Eine Formulierung in der JN-Internetmeldung vom 23. Oktober 2022 gab Aufschluss über den bisherigen Zustand der JN im Land,
hieß es doch, „dass die politische Jugendarbeit im Süd-Westen nun wieder einen organisierten Ansprechpartner im Kampf
um Volk und Vaterland“ habe. Im Umkehrschluss heißt dies, dass die JN selbst aus eigener Sicht vor dieser Gründung
keine aktiven „Stützpunkte“ in Baden-Württemberg mehr unterhalten und demnach völlig daniedergelegen haben. Das
war nicht immer so: Noch vor einigen Jahren zählte Baden-Württemberg zu den „Hochburgen“ der JN in Deutschland.
Die JN in Baden-Württemberg vor Oktober 2022: Eckdaten eines Niedergangs
Die frühere große Bedeutung der JN für die NPD, aber auch für die rechtsextremistische Szene insgesamt in
Baden-Württemberg, lässt sich anhand verschiedener Parameter darstellen – ebenso ihr darauffolgender Niedergang:
a. In nur wenigen Jahren, zwischen 2004 und 2008, stieg die Zahl der JN-Mitglieder in Baden-Württemberg von ca. 50 auf ca. 110, so dass 2008 über ein Viertel der ca. 400 deutschen JN hier ansässig waren und die Jugendorganisation ein knappes Viertel der damals ca. 450 baden-württembergischen NPD-Mitglieder stellte. Auf diesem hohen Niveau stagnierte die Mitgliederzahl bis einschließlich 2010. Danach begann ein fast kontinuierlicher personeller Rückgang mit dem Ergebnis, dass 2020 und 2021 von nur noch rund 35 JN in Baden-Württemberg auszugehen war; dies entspricht ungefähr einem Drittel der Zahl von 2010. In ganz Deutschland fiel die Zahl der JN-Mitglieder zwischen 2010 und 2021 von ca. 430 auf ca. 280, also „nur“ um ein gutes Drittel.
b. Zumindest um 2010 waren die Organisationsstrukturen des JN-Landesverbands Baden-Württemberg im
Vergleich mit den anderen Landesverbänden am stärksten ausgeprägt: 2010 wies er auf seiner damaligen Homepage insgesamt 13
regionale „Stützpunkte“ landesweit aus. Deren Zuständigkeitsbereiche erstreckten sich teils
auf bestimmte Städte (und mutmaßlich deren Umland) wie Karlsruhe oder Stuttgart oder auf
bestimmte Regionen wie Bodensee oder Main-Tauber. 2011 erschien diese Liste offenbar letztmalig. Damals
waren es zwölf JN-„Stützpunkte“, jedoch gab es zusätzlich Erkenntnisse über einen
„Stützpunkt“ in Lörrach, was in Summe auch wieder 13 ergab.
Für die Jahre nach 2011 ist ein exakter Vergleich nicht möglich, da die JN offensichtlich Gesamtlisten ihrer
„Stützpunkte“ nicht mehr veröffentlichten. In dieser Zeit ließ lediglich das allgemeine Informationsaufkommen,
beispielsweise die Berichterstattung zu Baden-Württemberg auf der Internetseite des JN-Bundesvorstands, auf die ungefähre Anzahl
der mehr oder minder aktiven „Stützpunkte“ im Land schließen. Diese Zahlen lagen deutlich niedriger als bis
einschließlich 2011. Seit 2020 war es als unsicher einzuschätzen, inwieweit die JN überhaupt noch über offizielle
„Stützpunkte“ in Baden-Württemberg verfügten.
c. Noch 2006 und 2007 leisteten JN-Demonstrationen einen wenigstens ansatzweise relevanten Beitrag zum rechtsextremistischen Demonstrationsaufkommen in Baden-Württemberg. Die JN veranstalteten in beiden Jahren jeweils sieben Demonstrationen (2006 rund 35, 2007 insgesamt 18 Demonstrationen). Schon ab 2010 führten die JN jedoch kaum noch Demonstrationen durch, in den meisten Jahren seither keine einzige.
d. In früheren Jahren veranstaltete der JN-Landesverband Baden-Württemberg wiederholt eigene
Landeskongresse, im Jahr 2012 sogar zweimal. Nach 2015 scheint allerdings kein Landeskongress mehr stattgefunden
zu haben. Hinzu kommt, dass seit 2017 kein baden-württembergischer JN-Landesvorsitzender mehr offiziell
bekannt wurde. Seither ist unklar, ob die JN im Land überhaupt noch über eine solche offizielle Führungsfigur verfügen.
Dazu passt, dass der JN-Landesverband seit 2019 weitgehend inaktiv war.
Fazit
Der organisierte, traditionelle Rechtsextremismus hat in Baden-Württemberg an Bedeutung verloren; der Niedergang der
baden-württembergischen JN nach 2010 ist nur ein Teilaspekt davon. Ob also eine einzige Stützpunktgründung eine Trendumkehr
festigen oder auch nur einleiten kann – und sei es nur für die JN –, ist mehr als fraglich. Dennoch ist damit zu rechnen,
dass die JN im Land wieder stärker in Erscheinung treten. Offen ist ebenso, welchen Effekt die diversen aktuellen Krisen haben, die
sich nicht zuletzt auch auf die politische Stimmung im Land auswirken. Hier bleibt abzuwarten, ob sich nicht nur neuen Erscheinungsformen
des Extremismus – wie der „Neuen Rechten“ oder der verfassungsschutzrelevanten Delegitimierung des Staates –,
sondern auch dem althergebrachten Rechtsextremismus neue Potenziale eröffnen.