Schon in den vergangenen Jahren haben sich gewaltorientierte linksextremistische Gruppierungen in Baden-Württemberg zusammengetan, um den Wahlkampf vor allem der Partei Alternative für Deutschland (AfD) zu stören. [Die Gesamtpartei AfD ist kein Beobachtungsobjekt des Landesamts für Verfassungsschutz.] Im Superwahljahr 2021 überschritt die Vernetzung mit der Kampagne „Antifascist Action! – Gegen rechte Krisenlösungen“ die Landesgrenze nach Rheinland-Pfalz und Hessen. Gewalttätige Übergriffe, insbesondere auf ein AfD-Mitglied in Schorndorf, sorgten für bundesweites Aufsehen. Nach den Landtagswahlen im Südwesten nimmt die Kampagne nun die Bundestagswahl in den Blick.
Am 20. Februar stürmten 15 bis 20 Vermummte unter „Alerta-alerta-Antifascista“-Rufen den Stand der AfD in Schorndorf – einen von mehreren Informationsständen von Parteien in der dortigen Fußgängerzone. Die Angreifer schlugen den örtlichen AfD-Kandidaten zu Boden und entwendeten sein Mobiltelefon. Außerdem gingen sie zwei weitere AfD-Mitglieder an. Als zwei Wahlkämpfer vom Nachbarstand eingriffen und sich die Polizei näherte, ergriffen sie die Flucht. Die Polizei nahm im Nachgang fünf Tatverdächtige im Alter zwischen 18 und 25 Jahren fest. Der AfD-Kandidat wurde mit Verdacht auf eine Gehirnerschütterung ins Krankenhaus eingeliefert.
Hintergrund des gewalttätigen Angriffs auf den AfD-Stand war die linksextremistische Kampagne „Antifascist Action! – Gegen rechte Krisenlösungen“, die seit Anfang Februar 2021 läuft. Auf der dazugehörigen Homepage sind unter anderem „Praxis-Tips“ zu finden, wie Aktivisten den Wahlkampf der AfD „sabotieren“ können. Gewaltorientierte Linksextremisten und entsprechender Gruppen aus dem Aktionsfeld „Antifaschismus“ formulieren auf der Seite ihre Agenda und ihr Ziel:
„Ob abgerissene AfD-Plakate oder Solidarität mit betrieblichen Kämpfen gegen die Angriffe der Arbeitgeber – unser Widerstand wird umso stärker, je mehr Aspekte er miteinander vereint. Nur gemeinsam können wir es schaffen, den KrisenprofiteurInnen und ihren HelfershelferInnen als gesellschaftlich wahrnehmbare Kraft entgegenzutreten.“
Bis zur Landtagswahl in Baden-Württemberg am 14. März 2021 sammelten sich auf der Seite Berichte über zerstörte Plakate, zerstochene Reifen, Störungen von Wahlkampf-Ständen, Flyer- und Posteinwurf-Aktionen, Farbschmierereien, Outings und körperliche Angriffe. Demnach gab es handgreifliche Auseinandersetzungen an AfD-Wahlständen in Reutlingen, Ettlingen und im Rems-Murr-Kreis. Vor Industriebetrieben in Stuttgart, Waiblingen und Rottweil wurden Flyer an den Werkstoren verteilt. In Stuttgart, Karlsruhe und Herrenberg gab es am Rande von AfD-Veranstaltungen Gegenkundgebungen auch mit Teilnehmern aus der gewaltorientierten linksextremistischen Szene. In vielen Städten, vor allem in Nordwürttemberg und Nordbaden, wurden Plakate heruntergerissen, beschmiert oder überklebt. Auch im Süden von Rheinland-Pfalz und in Frankfurt am Main – Anlass waren hier die hessischen Kommunalwahlen – kam es zu Aktionen unter dem Dach der Kampagne.
Vorgeschichte
Bereits in vorangegangenen Wahljahren hatten sich Linksextremisten vor allem aus Stuttgart und dem weiteren Umkreis sowie aus dem Raum Karlsruhe und dem Rhein-Neckar-Raum vernetzt. So wurden bei einem gemeinsamen „Antifa-Sommercamp“ 2017 im Schwarzwald Aktionen gegen die AfD diskutiert. Zu den Kommunalwahlen und der Europawahl 2019 formulierten gewaltorientierte linksextremistische Gruppen aus Karlsruhe, Mannheim, Stuttgart, Tübingen und Villingen-Schwenningen einen gemeinsamen Flyer mit dem Titel „Den rechten Wahlkampf sabotieren“.
Hatten die Aktivisten im Landtagswahlkampf 2016 auch noch Veranstaltungen und Informationsstände der „Nationaldemokratischen Partei Deutschlands“ (NPD) in den Fokus genommen, konzentrierten sich ihre Aktionen in den darauffolgenden Jahren nahezu ausschließlich auf die AfD. Gewaltsame Übergriffe gab es beispielsweise auch im Vorfeld der Bundestagswahl 2017: In Stuttgart wurden ein Stadtrat der AfD und später auch vier Plakatierer körperlich attackiert. Während des Kommunal- und Europawahlkampfs 2019 griffen Linksextremisten in Korb zwei Personen an einem AfD-Infostand mit einem Schlagstock an.
Vor der Landtagswahl 2021 erlangte das Landesamt für Verfassungsschutz Erkenntnisse über eine höhere zweistellige Zahl
von Aktionen, die sich mit „Antifascist Action!“ in Verbindung bringen lassen. Daneben gab es auch in
Freiburg, Lörrach, Weil am Rhein und Konstanz Aktionen von
gewaltorientierten Linksextremisten. Diese nahmen allerdings keinen Bezug auf die Kampagne.
Bewertung
Die Vernetzung der gewaltorientierten linksextremistischen Szene in Hinblick auf bevorstehende Wahlen nimmt in der jüngeren Vergangenheit zu und wächst auch geographisch über die Grenzen Baden-Württembergs hinaus. Festzustellen ist eine zunehmende Professionalisierung, wie die Kampagne „Antifascist Action!“ mit ihrer Online-Plattform und eigenem Branding zeigt. Angriffsziel ist nahezu ausschließlich die AfD. Gewaltsame Übergriffe auf diesen ausgemachten Gegner im Zuge der Aktionen scheinen kaum zu szeneinternen Diskussionen zu führen. Vielmehr wird der körperliche Konflikt in manchen Fällen geradezu gesucht; er erscheint gezielt und arbeitsteilig organisiert.
Ob die Kampagne nach Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz nun auch bei den weiteren Landtagswahlen 2021 – in Sachsen-Anhalt, Berlin, Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen – fortgesetzt wird, ist offen. Indes zeigt sich auf der Kampagnen-Homepage bereits deutlich der Fokus auf die Bundestagswahl am 26. September.