Zum Inhalt springen

Auslandsbezogener Extremismus

„Die PKK muss sich auflösen“ – Reaktionen der PKK-nahen Szene in Baden-Württemberg auf den Aufruf ÖCALANs

Am 27. Februar 2025 rief der inhaftierte Anführer der "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) Abdullah ÖCALAN zur Waffenniederlegung und Auflösung der PKK auf. Der seit Wochen erwartete Aufruf ist der erste Schritt dieser Art seit mehr als zehn Jahren. Die Reaktionen der PKK-nahen Szene in Baden-Württemberg auf den Anstoß zu einem neuerlichen Friedensprozess im mehrere Jahrzehnte andauernden türkisch-kurdischen Konflikt fielen unterschiedlich aus. Neben Frust und Unruhe, aber auch Zustimmung und Hoffnung herrscht vor allem Unsicherheit darüber, wie es weitergeht. Die PKK-nahen Vereine mahnen ihre Anhängerschaft zu Geduld und versuchen mit verschiedenen Aktionen Geschlossenheit zu zeigen. 

Die kurdisch-separatistische und in Deutschland verbotene PKK begann 1984 vor allem gegen den türkischen Staat einen andauernden Guerillakrieg, um ihre Forderungen durchzusetzen. Diese Forderungen umfassen neben der Anerkennung der kurdischen Identität eine kulturelle Autonomie und lokale Selbstverwaltung für Kurden in ihren traditionellen Siedlungsgebieten im Irak, Iran, Syrien und in der Türkei. Nun könnte die im Vorfeld bereits als historisch bezeichnete Botschaft ÖCALANs den Krieg gegen den türkischen Staat beenden. 

Die PKK-nahe Szene in Baden-Württemberg erwartete den Aufruf ÖCALANs als Videobotschaft. Im Vorfeld mobilisierten PKK-nahe Vereine zur Teilnahme an Live-Übertragungen am 27. Februar 2025 beispielsweise in Stuttgart, Mannheim, Heilbronn, Reutlingen und Freiburg. Die dafür in Umlauf gebrachten Beiträge enthielten häufig Abbildungen ÖCALANs und teils verbotene PKK-Symbolik.

Die PKK-nahe Szene reagierte verschieden auf den Aufruf: Teilweise kamen Frust und Unsicherheit auf, jedoch auch Hoffnung auf eine friedliche Lösung. Dennoch waren manche Anhänger enttäuscht darüber, dass die Botschaft nicht von ÖCALAN selbst, sondern von einer Delegation der pro-kurdischen „Partei für Emanzipation und Demokratie der Völker“ (DEM Parti) verlesen wurde. Einige PKK-nahe Instagram-Accounts aus Baden-Württemberg bewarben in den sozialen Medien unmittelbar nach dem Aufruf eine virtuelle Veranstaltung. Unter dem Titel „Waffenniederlegung und Auflösung der PKK? Was nun?“ sollte am 28. Februar 2025 ab 19 Uhr auf Zoom über den Aufruf diskutiert werden. Eine ähnliche Veranstaltung kündigte der PKK-nahe Verein in Mannheim für den 6. März 2025 in den Vereinsräumlichkeiten an.

Weitere Entwicklung noch nicht absehbar

Die PKK-Führung kündigte am 1. März 2025 an, dem Aufruf ÖCALANs grundsätzlich zu folgen. Die in der PKK-nahen Nachrichtenagentur „Firatnews Agency“ (ANF) veröffentlichte Erklärung wurde in Teilen auch von PKK-nahen Accounts in Baden-Württemberg in den sozialen Medien verbreitet. Darin knüpft die PKK-Führung die Umsetzung des Aufrufs unter anderem an die Freilassung ÖCALANs und seine Teilnahme an einem Kongress über die Selbstauflösung der PKK. Die türkische Regierung teilte mit, nicht mit der PKK zu verhandeln und forderte die Niederlegung der Waffen der kurdischen Milizen im Irak und in Syrien. Gemeint sind damit wohl auch die mehrheitlich kurdisch geführten „Syrischen Demokratischen Kräfte“ (SDF), die seit dem Sturz des Assad-Regimes im Dezember 2024 im Norden Syriens gegen die Türkei-nahe „Syrische Nationale Armee“ (SNA) kämpfen. Ein Oberkommandierender der SDF entgegnete in den Medien, dass sich die kurdischen Milizen in Syrien nicht an den Aufruf gebunden fühlten.

Vor dem Aufruf ÖCALANs bestimmte die Situation im mehrheitlich von Kurden besiedelten und als „Rojava“ bezeichneten Gebiet in Nordsyrien auch die Aktivitäten PKK-naher Akteure in Baden-Württemberg. Denn die PKK betrachtet Rojava als gelungenes Modell kurdischer Selbstverwaltung. Entsprechend ist dessen Erhalt und Symbolkraft für die PKK entscheidend, weshalb sich auch das PKK-nahe Spektrum in Baden-Württemberg in einem Verteidigungskampf um Rojava wähnte. So verbreitete ein PKK-naher Account aus der Region Tübingen am 21. Dezember 2024 auf der Plattform Instagram ein Video mit dem Aufruf „Alle jungen Frauen und Jugendliche für Rojava auf die Straße! Wir setzen den Angriffen eine Antwort entgegen!“. Darin wird die Gewaltorientierung der Szene erkennbar: Unterlegt mit treibender Trommelmusik werden junge Menschen gezeigt, die Pyrotechnik anzünden oder Molotowcocktails bauen. Zudem sind Aufnahmen zu sehen, die an Häuserkämpfe und Straßenschlachten erinnern.

Instagram-Beitrag Molotowcocktail
Ausschnitt aus dem Instagram-Beitrag des PKK-nahen Accounts, der zeigt, wie ein Jugendlicher einen Molotowcocktail baut – die Wurfbrandsätze werden oftmals bei Aufständen, Straßenschlachten oder auch Guerillakriegen verwendet.
Instagram-Beitrag Straßenkampf
Weiterer Auszug aus dem Instagram-Beitrag, der durch die Darstellung eines qualmenden Feuers auf einem Straßenabschnitt, einer vermummten Person mit einer Stange in der Hand und einer Hand mit einem Stein an straßenkampf-ähnliche Szenen erinnert.

Darüber hinaus gab es Demonstrationen und Informationsstände mit dem Ziel, die öffentliche Aufmerksamkeit für die Situation in dem Gebiet zu steigern. Unter dem Slogan „Defend Rojava“ fanden beispielsweise am 18. Januar 2025 Demonstrationen in Heilbronn und Stuttgart statt, die zuvor über PKK-nahe Accounts in den sozialen Medien beworben wurden. Einige Teilnehmende zeigten dort Flaggen der „Volksverteidigungseinheiten“ (YPG) und der „Frauenverteidigungseinheiten“ (YPJ). Bei beiden handelt es sich um bewaffnete Guerillaeinheiten und syrische Schwesterorganisationen der PKK, die aktuell Teile der SDF sind.

Instagram-Beitrag Flaggen
Instagram-Beitrag zur Demonstration am 18. Januar 2025 in Stuttgart mit Flaggen der YPG mit einem roten Stern auf gelbem Grund und der YPJ mit einem roten Stern auf grünem Grund.

Bewertung

Der Aufruf Abdullah ÖCALANs und der damit neuerlich angestoßene Friedensprozess bieten Grund zur Hoffnung auf eine friedliche Lösung des jahrzehntelangen türkisch-kurdischen Konflikts. Allerdings sind derzeit noch viele zentrale Fragen offen, insbesondere, zu welchen Bedingungen und unter welchen Zugeständnissen eine solche Lösung gegebenenfalls erreicht werden kann. Die weitere Entwicklung ist damit noch nicht absehbar. Deshalb, so betonte auch ein Sprecher des Bundesinnenministeriums gegenüber den Medien, gibt es trotz des durch die PKK-Führung verkündeten Gewaltverzichts derzeit keinen Anlass für eine Neubewertung der PKK. 

Die Aktivitäten der PKK-nahen Szene in Baden-Württemberg dürften in den kommenden Wochen und Monaten von dem Verlauf des Verhandlungsprozesses bestimmt sein. Wie sich dieser genau entwickelt, ist aktuell jedoch nur schwer vorherzusagen. Aufgrund des derzeit hohen Emotionalisierungsgrades der PKK-nahen Szene kann es auch in Baden-Württemberg zu spontanen Aktionen sowie einer gesteigerten Anzahl an Veranstaltungen kommen. Zudem können sich tagesaktuelle Geschehnisse im Kontext der Verhandlungen zwischen PKK-Führung und türkischer Regierung auf das Eskalationspotenzial der PKK-nahen Anhängerschaft, aber auch des türkisch-rechtsextremistischen Spektrums auswirken. Dies gilt vor allem im Falle verhärteter Fronten zwischen den Verhandlungspartnern.