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Rechtsextremismus

"Krankhafte Perversionen": Wie Rechtsextremisten gegen queere Menschen mobilmachen

Die rechtsextremistische Szene mobilisiert seit dem Sommer 2024 in ganz Deutschland verstärkt gegen die in mehreren deutschen Städten ausgerichteten "Christopher Street Day" (CSD)-Veranstaltungen. In Baden-Württemberg ist dabei insbesondere ein Ereignis in Albstadt-Ebingen hervorzuheben: Am 6. September 2024 beteiligten sich viele rechtsextremistische Gruppierungen aus dem Land an einer Demonstration gegen den dortigen CSD.

Rechtsextremisten lehnen Vielfalt im Hinblick auf sexuelle Orientierungen sowie bei Partnerschafts- und Familienmodellen weitestgehend ab. Heterosexualität und die damit verbundene traditionelle Kernfamilie aus Mann, Frau und möglichst mehreren Kindern wird als alternativlos und biologisch „natürlich“ angesehen. Für sich genommen ist das zunächst keine genuin rechtsextremistische Position. Rechtsextremisten wollen das Thema jedoch ideologisch besetzen, indem sie die Ablehnung von Geschlechtervielfalt und queerer Lebensweisen an ihr von Rassismus und Nationalismus geprägtes Weltbild knüpfen.

Seit einigen Jahren agitiert die rechtsextremistische Szene bundesweit verstärkt gegen queere Menschen und die „LGBTQIA+“-Community. Ein Beispiel dafür ist der sogenannte „Stolzmonat“, eine Art Gegenentwurf von rechtskonservativen und rechtsextremistischen Akteuren zum „Pride Month“. Für das Jahr 2024 lässt sich feststellen, dass sich die in vorherigen Jahren weitgehend virtuell durchgeführte Agitation auch vermehrt realweltlich ausdrückt. Neben bekannten rechtsextremistischen Akteuren bundesweit und in Baden-Württemberg ist seit dem Sommer 2024 die Entstehung von neuen, rechtsextremistischen Jugendorganisationen zu beobachten, welche sich ebenfalls gegen queere Menschen sowie CSD-Veranstaltungen positionieren und die Nähe zu bekannten rechtsextremistischen Akteuren suchen.

Im Folgenden werden drei Fälle für realweltliche Aktionen im Jahr 2024 aufgeführt.

Fall 1: CSD in Ravensburg am 29. Juni 2024

Mehrere Aktivisten der rechtsextremistischen Kleinpartei „Der III. Weg“ verteilten laut eines Beitrags auf der Parteiwebseite am Vortag des CSDs in Ravensburg hunderte Flugblätter entlang der geplanten Demonstrationsroute. Außerdem wurde demnach ein Transparent mit der Aufschrift „Für eine natürliche Familie! Und einen gesunden Geist!“ entrollt. Der CSD wird im Beitrag als „abartiges Treiben“ bezeichnet und den Teilnehmerinnen und Teilnehmern des CSD „widernatürliche sexuelle Neigungen“ sowie „krankhafte Perversionen“ unterstellt, welche es durch „therapeutische Maßnahmen“ zu heilen gelte.

Fall 2: CSD in Albstadt-Ebingen am 6. September 2024

Im Vorfeld des CSDs in Albstadt-Ebingen wurde durch diverse rechtsextremistische Gruppierungen über die sozialen Medien für eine Gegendemonstration unter dem Titel „Nein zum Genderwahnsinn! Kinder & Zukunft schützen!“ mobilisiert. Bei den beteiligten Gruppierungen handelte es sich um die rechtsextremistischen Parteien „Die Heimat“ und „Der III. Weg“ sowie deren Jugendorganisationen „Nationalrevolutionäre Jugend“ (NRJ) und „Junge Nationalisten“ (JN). Auch die hinlänglich bekannte rechtsextremistische „Pforzheim Revolte“ sowie die im Jahr 2024 entstandenen rechtsextremistischen Jugendorganisationen „Unitas Germanica“ und „Zollern-Jugend Aktiv“ waren an der Mobilisierung beteiligt. 

Telegrambeitrag
Mobilisierung von „Pforzheim Revolte“ für die rechtsextremistische Gegendemonstration „Nein zum Genderwahnsinn! Kinder & Zukunft schützen!“ in Albstadt-Ebingen am 6. September 2024 auf Telegram. Geteilt wird hier ein Beitrag des Telegram-Kanals des baden-württembergischen Landesverbands von „Die Heimat“.

Es nahmen ungefähr 80 Personen der rechtsextremistischen Szene an dieser Gegendemonstration teil, darunter die NRJ als auch „Unitas Germanica“. Die NRJ habe sich laut eines Beitrags auf der Parteiwebseite „zum Schutze der deutschen Familie und der Volksgesundheit“ beteiligt. Aktivisten der NRJ führten während des Demonstrationszugs ein Banner der NRJ mit sich und verteilten nach eigener Aussage themenbezogene Flugblätter an Passanten. Der CSD in Albstadt-Ebingen wurde als „bunte[s] Treiben der Homo-Bolschewiken“ verunglimpft. Über TikTok teilte „Unitas Germanica“ im Nachgang an die Veranstaltung mit, dass sie dort mit Aktivisten von „Der III. Weg“ marschiert seien.

Fall 3: „Dorfpride“ in Ketsch am 7. September 2024

Die NPD und „Die Rechte“ führten gemeinsam einen Gegenprotest („Es gibt nur 2 Geschlechter“) zur sogenannten „Dorfpride“-Veranstaltung in Ketsch durch. Eine Bewerbung des Gegenprotests im Vorfeld fand im virtuellen Raum nur in geringem Umfang statt. Die Teilnehmerzahl belief sich wohl auch deshalb lediglich auf knapp zehn Personen. In Zusammenhang mit der „Dorfpride“ sprachen beide Parteien unter anderem von einer angeblich dort stattfindenden „abartigen Sexualisierung“ sowie davon, dass „Naturgesetze geleugnet“ würden.

Bewertung

Das Thema „Anti-LGBTQIA+“ war 2024 in Baden-Württemberg eines der ideologischen Kernthemen der rechtsextremistischen Szene. Rechtsextremisten sehen in queeren Menschen „psychisch Kranke“ und ein Feindbild, das es zu bekämpfen gilt. Diese Agitation von Rechtsextremisten fand in vorherigen Jahren vor allem virtuell statt. Für das Jahr 2024 lässt sich auch in Baden-Württemberg feststellen, dass rechtsextremistische Gruppierungen offensiver auftreten und auch entsprechende realweltliche Aktionen durchführen, bei denen die direkte Konfrontation mit dem ausgemachten Feindbild gesucht wird. Diese zunehmend nicht nur virtuelle, sondern auch realweltliche Vernetzung von etablierten und neuen rechtsextremistischen Akteuren zeigt sich eindeutig bei der rechtsextremistischen Gegendemonstration in Albstadt-Ebingen. Das Thema „Anti-LGBTQIA+“ scheint für junge Menschen eine Art „Türöffner“ zu sein, um sich der rechtsextremistischen Szene zuzuwenden. Es muss davon ausgegangen werden, dass im Jahr 2025 entsprechende Aktionen von Rechtsextremisten weiter zunehmen werden.