Islamismus

Salafistische Influencerinnen zwischen
Anspruch und Wirklichkeit

Influencer zu sein ist angesagt. Auch Extremisten nutzen diese Form der Selbstdarstellung in sozialen Medien, um ihre Botschaften zu verbreiten. Die Salafistinnen „Mina“ und „Mona“ bewegen sich dabei mitunter in einem Graubereich, wenn sie als Frauen auf YouTube, TikTok und Co. öffentlich in Erscheinung treten. Denn die salafistischen Rollenvorstellungen setzen ihnen enge Grenzen. Doch die beiden Influencerinnen haben Lösungen gefunden.

Im Salafismus müssen sich Frauen an strenge Regeln halten. Sie sollen das Haus nur verlassen, wenn es notwendig ist, etwa um zum Arzt oder einkaufen zu gehen, in der Öffentlichkeit Körper und Gesicht verhüllen, und sie sollen Kontakt zu Männern vermeiden, die nicht zur Familie gehören. In den vergangenen Jahren haben Salafistinnen ihre Präsenz in der Onlinewelt immer weiter ausgebaut. Dort können sie aktiv sein und gleichzeitig die salafistischen Rollenvorstellungen einhalten. Sie verbreiten Propaganda, betreiben Onlinehandel oder Gefangenenhilfe. Dabei sind die Frauen generell darauf bedacht, die für sie im Salafismus geltenden Normen einzuhalten: So sind sie in der Regel online nicht auf Fotos oder in Videos zu sehen. 

Punktuell gibt es aber Salafistinnen, die sichtbar in Erscheinung treten, zum Beispiel zwei Frauen, die sich selbst „Mina“ und „Mona“ nennen. Sie sind online auf verschiedenen Plattformen aktiv, erschließen neue Themen und gehen alternative Wege im Umgang mit salafistischen Gendervorstellungen. Aber wie kann eine Salafistin Influencerin sein, wenn es in diesem Geschäft hauptsächlich darum geht, mittels Selbstdarstellung möglichst viele Follower zu erreichen? Denn eigentlich widerspricht ein derart offenes Auftreten ja dem salafistischen Weltbild mit verhüllten Frauen, die ihre Stimme nicht erheben.

Einblicke ins Leben einer Salafistin

Mina, die angibt aus Stuttgart zu kommen, betreibt seit 2022 einen YouTube-Kanal, hat eine eigene Homepage und einen TikTok-Kanal. Dort bietet sie „Seelencoaching“ und „Therapie für seelischen Missbrauch“ an – und gibt fragwürdige Therapieempfehlungen. Wie bei Influencern üblich, gewährt Mina Einblicke in ihr Privatleben; sie berichtet etwa von ihren zwei Ehen mit Partnern, denen sie eine narzisstische Störung nachsagt. 

Minas Videos tragen Titel wie „Anzeichen und Symptome von Zauberei“, „Wie erreiche ich die Zufriedenheit ALLAHS?“ oder „Was hilft bei den Seelischen Krankheiten?“. Damit erreicht sie ein überschaubares Publikum: Sie hat 16.000 Follower auf TikTok, zuletzt jedoch wohl die Videos von dem Kanal gelöscht, und knapp über 390 Abonnenten auf YouTube.

Mina beschäftigt sich hauptsächlich mit Zauberei, die auch im islamischen Volksglauben eine Rolle spielt. Dass die Influencerin das Thema salafistisch rahmt, wird deutlich, wenn sie behauptet, der Koran sei das einzige Heilmittel gegen Verzauberung. Ihre salafistische Islamauslegung findet sich zudem in Videos, in denen sie Ablehnung gegenüber Musik äußert. Die halte Muslime von Gott fern, fülle das Herz mit „Unheil“ und sei Teufelsanbetung. 

Neben der salafistischen Islamlesart fallen ihre Videos durch fragwürdige Diagnosen und Therapieempfehlungen auf. So nennt sie im Video „Anzeichen und Symptome von Zauberei“ angebliche Hinweise dafür, dass ein Mensch verzaubert worden sei: von chronischer Müdigkeit über Tinnitus bis hin zu Depression. Indem sie das Rezitieren von Koranversen als Gegenmittel empfiehlt, hält die Influencerin Menschen im schlimmsten Fall davon ab, zum Arzt zu gehen. In anderen Videos empfiehlt sie eine „Brechtherapie“ gegen Gifte und seelische Krankheiten: Eineinhalb Liter Wasser sollen, mit Rosenwasser und Honig gemischt, auf nüchternen Magen in einem Zug getrunken und direkt danach wieder erbrochen werden. Mina rät dazu, die Prozedur mehrere Tage hintereinander zu wiederholen.

Ein Avatar als Seelencoach

Das Problem mit der eigenen öffentlichen Darstellung löst Mina mit einem Trick: Sie zeigt sich nicht selbst, sondern einen Avatar. Ihr virtuelles Gegenstück ist, wie auf dem Screenshot zu sehen, eine Frau mit langem Mantel in wechselnden Farben, Kopftuch und Brille. Wenn die Influencerin aus dem Off spricht, bewegen sich die Lippen ihres Avatars synchron. Es gibt lediglich ein Video, in dem Mina angeblich selbst zu sehen ist: in einem schwarzen Jilbab – ein langes, weites Gewand für islamische Frauen; das Gesicht ist mit einem blauen Herz unkenntlich gemacht.

Screenshot Avatar Mina
Mina nutzt einen Avatar, um in den sozialen Medien als Salafistin auftreten zu können. Das Gesicht ist dabei nicht verschleiert, obwohl das für Frauen im Salafismus eigentlich vorgeschrieben ist, und auch die Kleidung ist lediglich ein gewöhnlicher Mantel und keine Ganzkörperverschleierung. (Nachtrag: Seit Ende Februar 2023 ist das Gesicht des Avatars verpixelt.)

Und wie reagiert die Online-Community auf Minas Selbstdarstellung? Sie gilt als Expertin und ihr werden weiterführende Fragen gestellt, die sie allerdings nicht immer beantwortet. Kritik taucht in den Kommentaren generell nicht auf. Vielleicht weil es wirklich keine gibt, vielleicht löscht Mina aber einfach kritische Kommentare. In einem Video geht sie darauf ein, dass sie zuweilen negative Rückmeldungen erhält, zum Beispiel, weil sie für ihre Coachings Bezahlung verlangt. Auf ihrer Homepage bietet sie etwa ein persönliches Mentoring mit acht Gesprächen à 60 Minuten für 999 Euro an.

Lifehacks, Islamismus und Corona

Auch Mona betreibt einen YouTube-Kanal und eine eigene Homepage. Anders als Mina verbreitet sie ihre Botschaften zudem über Twitter. Den Zweck ihres YouTube-Kanals beschreibt sie so: „Ich möchte gerne über Dinge reden, die mich beschäftigen oder die ich andern mitteilen möchte. Das wären Autismus, Narzissmus, Islam, Multiple Sklerose, Gesundes Leben, alternative Heilmethoden, Politik, Kinder... . Mal ernst, mal witzig.“ Die Videos tragen Titel wie „Trick 17, Lifehack gegen Urinstein“, „Hijab/niqab ab wann für meine Töchter?“ oder „Suche Ehemann ...“. Auch Monas Reichweite ist überschaubar: Ihr 2020 angelegter YouTube-Kanal hat über 280 Abonnenten, auf Twitter folgen ihr bisher nur fünf andere User. 

In den Videos kommentiert Mona vielfach ihr eigenes Leben. Dass sie dieses islamistisch rahmt, wird in vielen der Aufnahmen deutlich, so zum Beispiel in einem Video, in dem sie sich mit einer Publikation der Bundeszentrale für politische Bildung zum Islamismus beschäftigt. Sie geht auf das dort genannte Ziel von Islamisten ein, einen islamischen Gottesstaat auf der ganzen Welt zu errichten, und fragt rhetorisch: „Ist das nicht etwas, was alle Muslime wollen? Einen islamischen Staat, wo die Scharia gilt? Und würden nicht alle Muslime auch wollen, dass die ganze Welt islamisch regiert wird?“ Mit ihrer eigenen Darstellung als Muslimin macht sich Mona diese Position zu eigen und vermittelt hier den Eindruck, alle Muslime würden ein islamisches Staats- und Gesellschaftssystem wollen. In einem anderen Video behauptet sie, dass die islamische Verhüllung für Frauen verpflichtend sei. 

Dem stehen Videos gegenüber, in denen Mona von ihren Hobbys berichtet, die eigentlich nicht zu ihrer salafistischen Weltanschauung passen; sie schaue gerne Filme, vor allem Thriller. Den Widerspruch zur salafistischen Ideologie versucht sie mit folgender Argumentation aufzulösen: Bei Intimszenen schaue sie weg, und sobald Musik zu hören sei, drücke sie die Stumm-Taste.

Darüber hinaus fällt Mona mit Videos zur Corona-Pandemie auf. In einem sagt sie, dass ihr zukünftiger Ehemann nicht gegen Corona geimpft sein dürfe; in einem anderen beschreibt sie ihre persönlichen Erfahrungen mit dem Coronavirus und behauptet, eine Infektion damit sei weniger schlimm als eine Erkältung. Monas Fazit: „Es ist nix wofür man sich impfen lassen müsste (…), vor allem nicht mit einem experimentellen Gentherapeutikum“

Schließlich zeigt sich die Salafistin in einem Video von einer Demonstration gegen die staatlichen Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie neben Plakaten mit Aufschriften wie: „Wir sind das Volk. Wir lassen uns nicht spalten!!“ oder „Lieber Alu im Hut als Alu im Blut“. In einem anderen Video verbreitet sie auf ihrem YouTube-Kanal Narrative, die im Bereich „Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates“ großen Anklang finden. Eines ist zum Beispiel, dass die Bundesregierung die Bevölkerung täusche, um Geld mit der Pandemie zu verdienen.

Mit Gesichtsschleier beim Roadtrip und auf Corona-Demos

Mona trägt in allen ihren Videos einen Niqab. Der Gesichtsschleier lässt lediglich ihre Augen hinter der Brille unbedeckt. Teilweise filmt sie sich, während sie ihre Botschaft beim Autofahren verbreitet und trägt auch dabei den Niqab, was laut Gesetz in Deutschland grundsätzlich verboten ist. Mona behauptet dafür eine Ausnahmegenehmigung zu besitzen. 

Oft thematisiert Mona ihre Suche nach einem Ehemann. Auch hier bewegt sie sich im Graubereich der für sie geltenden Gender-Normen: Das öffentliche Werben entspricht nicht dem salafistischen Ideal der Eheanbahnung. An die wichtigsten Regeln hält sie sich jedoch: Sie weist darauf hin, mit Bewerbern nicht privat chatten zu wollen, weil das immer „in den verbotenen Bereich“ führe; stattdessen erwartet sie von den Männern schriftliche Bewerbungen. Ein Cafébesuch sei möglich: So entspricht Mona den salafistischen Vorstellungen, nach denen ein unbeobachtetes, privates Treffen nur Eheleuten erlaubt ist.

Die Reaktionen auf Monas Aktivitäten in den sozialen Medien sind sehr unterschiedlich. Es gibt Männer, die in YouTube-Kommentaren Interesse an einer Ehe mit ihr bekunden. Aber sie wird auch kritisiert: Ihre Forderung, ihr künftiger Ehemann müsse gut Deutsch sprechen, verwirft ein Kommentator als Anmaßung, weil die Influencerin selbst nicht einmal die arabische Begrüßung korrekt ausspreche. 

Mona reagiert häufig auf Kritik. In einem Video zur islamischen Kleidung für Frauen erklärt sie, dass sie ein zuvor dazu veröffentlichtes Video wieder gelöscht habe; von unterschiedlichen Seiten sei sie für Fotos von „sündigen Frauen“ kritisiert worden, die sie zur Veranschaulichung genutzt habe. Im neuen Video löst sie das Problem, indem sie eigene Zeichnungen zeigt.

Salafismus hat viele Gestalten

Mona und Mina setzten typische Influencer-Methoden und Formate ein. Mina vermarktet sich als Expertin für ein spezielles Thema. Mona betreibt Storytelling. Nach Influencer-Maßstäben bewegen sich beide aber im Nanobereich – ihr Einfluss ist zumindest zahlenmäßig also gering. 

Beide Frauen haben jedoch Wege gefunden, um die Beschränkungen zu umgehen, die der Salafismus ihnen für öffentliches Engagement auferlegt. Avatar und Niqab erscheinen als legitime Möglichkeiten oder Mittel für Salafistinnen, sich in der Öffentlichkeit zu zeigen. Anders verhält es sich beim Ton, denn eigentlich dürften die Stimmen der Frauen nicht zu hören sein. Entsprechend den Vorstellungen von Salafisten reicht die Stimme einer Frau aus, um Männer zu verführen und damit die islamische Gemeinschaft ins Chaos zu stürzen. 

Minas und Monas Aktivitäten sind zwar nicht unbedingt charakteristisch für das Wirken von Frauen in der salafistischen Szene. Vor allem Mona weicht in einigen Bereichen von Einstellungen und Verhaltensweisen ab, die auf der salafistischen Ideologie gründen, zum Beispiel mit ihrem Faible für Filme. Gerade das ist für die Bewertung der salafistischen Szene jedoch interessant: Es wirft ein Schlaglicht auf die Vielgestaltigkeit salafistischer Akteure und Bestrebungen.

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