Der Islamismus von heute ist nicht mehr derselbe wie vor einigen Jahren – gesellschaftliche, technologische und geopolitische Entwicklungen haben auch ihn tiefgreifend verändert. Waren Islamisten früher vorrangig in Moscheen oder mit Informationsständen in Fußgängerzonen aktiv, ist dies heutzutage in die zweite Reihe gerückt. An ihre Stelle sind neue Agitationsräume getreten – vorrangig in den sozialen Medien. Im digitalen Raum können Islamisten nahezu ohne Kontrolle salafistische und auch jihadistische Inhalte verbreiten.
Islamistische Inhalte auf TikTok und Co.
Salafistische Prediger und Influencer, wie sie mitunter auch genannt werden, stellen sich in sozialen Medien in kurzen Videos den Fragen der Zuschauer. Darunter sind tatsächlich islamische Inhalte wie „Wie kann ich Allah um die Vergebung meiner Sünden bitten?“, aber auch nicht ganz ernst gemeinte Fragen wie „Darf man Außerirdische essen?“. Solche Inhalte tragen zu einer enormen Popularität salafistischer Akteure bei. Die Klickzahlen der einzelnen Videos suggerieren, dass sie von mehreren Hunderttausenden Nutzern gesehen werden. Vor allem auf TikTok, deren Anwender hauptsächlich Minderjährige oder Jugendliche sind, sind solche Beiträge sehr beliebt. Inwiefern diese und ähnliche Videos am Ende tatsächlich zu Radikalisierungsprozessen führen, ist schwer zu bewerten. Allerdings werden Jugendliche durch solche Formate früh mit islamistischen Inhalten konfrontiert. Durch das gegenseitige Teilen der – oftmals humorvollen – Videos, werden auch Nutzer mit wenig Hintergrundwissen zu islamischen Prinzipien zu Multiplikatoren. Die Anonymität des Internets und die Schnelllebigkeit der sozialen Medien erschweren dabei die Trennung von extremistisch relevanten und nicht-relevanten Inhalten.
Propaganda auch über Musik
Nicht jeder Beitrag, der ein islamistisches Narrativ aufgreift, ist auch automatisch von einem überzeugten Islamisten verfasst worden. Nasheeds (arab. Anashid) sind ein gutes Beispiel, um diese Problematik zu skizzieren. Dabei handelt es sich um rhythmische, islamische Gesänge mit und ohne instrumentale Begleitung. Unter Salafisten und Jihadisten gelten die A-Cappella-Versionen von Nasheeds als einzige erlaubte Form der Musik, da nach islamistischen Weltanschauungen der Einsatz von Instrumenten als verboten gilt. Viele sind nicht extremistisch und dienen der Glaubensbekräftigung, der Preisung Mohammads als den Propheten des Islam und Gesandten Gottes oder der Huldigung von Gott selbst. Sie wurden in der islamischen Geschichte jedoch auch als Kampfeslieder eingesetzt und bei Feldzügen gesungen. Diese Form von Nasheeds nutzten jihadistische Organisationen in der Vergangenheit häufig, um die eigene, islamistische Ideologie zu verbreiten. Prominentestes Beispiel ist die terroristische Vereinigung „Islamischer Staat“ (IS), die in ihrer Hochzeit mehrere Hundert solcher Gesänge produzierte und verbreitete, in denen zum Kampf gegen und zur Tötung von Ungläubigen aufgerufen wurde. Die aufwändige und qualitativ hochwertige Aufmachung dieser Gesänge erschwert es gerade Jugendlichen, sie als extremistisch zu identifizieren und so werden sie von Nutzern in den sozialen Medien häufig arglos verbreitet. Da ihre Islam-Kenntnisse nicht ausreichen, um alle Inhalte zu verstehen, begehen sie, ohne es zu wissen, eine Straftat. Einige greifen jihadistische Inhalte aber auch bewusst auf – sowohl aus ideologischer Überzeugung als auch um Aufmerksamkeit im sozialen Umfeld zu erzeugen.
Wie sich extremistische Inhalte verbreiten
Die Annahme, sich folgenlos im Internet bewegen zu können, führt dazu, dass extremistische Inhalte leichtfertiger verbreitet werden. Das Aufflammen des Nahostkonflikts zeigt, wie schnell das passiert. Seit dem Ausbruch des Gaza-Krieges im Zuge des Terrorangriffs der HAMAS auf den Staat Israel vom 7. Oktober 2024 lassen sich unzählige antisemitische Beiträge in den sozialen Medien identifizieren. Die Inhalte sind schnell und einfach zu konsumieren und teilweise mit KI generiert. Sie verfangen bei den überwiegend jungen Menschen, befeuern Feindbilder, und können letztendlich auch in Radikalisierungsbiographien enden. Dass, bei all der legitimen Kritik am Nahostkonflikt, die Sachverhalte und Entwicklungen verdreht dargestellt oder mit gefälschten Informationen und Darstellungen wiedergegeben werden, scheint zweitrangig. Wohin dies führen kann, zeigen die Erfahrungen der letzten Jahre: Salafistische und jihadistische Inhalte finden den Weg aus dem öffentlichen, digitalen Raum rein in die private Kommunikation. So entstehen unter anderem Chatgruppen, in denen sich kleinere Zusammenschlüsse von Jugendlichen – teils über ganz Deutschland vernetzt – austauschen. In solchen Gruppen entstanden in der Vergangenheit auch konkrete Anschlagsvorhaben, die durch nachrichtendienstliche und polizeiliche Gegenmaßnahmen verhindert werden konnten. Um solche Entwicklungen möglichst frühzeitig zu verhindern, bedarf es mehrerer Maßnahmen: Neben einer sorgfältigen Beobachtung islamistisch-extremistischer Inhalte in den sozialen Medien ist dies die Stärkung jugendschutzfördernder Maßnahmen in Verbindung mit nachhaltiger Bildungsarbeit und Aufklärung durch Sicherheitsbehörden.