Rechtsextremismus | Reichsbürger und Selbstverwalter | Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates

Extremistische Akteure instrumentalisieren Flutkatastrophe


Rechtsextremisten und Personen, die dem neuen nachrichtendienstlichen Phänomenbereich „Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates“ zuzuordnen sind, haben versucht, die Flutkatastrophe in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz Mitte Juli 2021 für ihre Zwecke zu nutzen und sich medienwirksam als anpackende Helfer zu inszenieren. Auch Akteure aus Baden-Württemberg reagierten auf die Ereignisse. 

Phänomenbereich „Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates“

Unmittelbar nach der Hochwasserkatastrophe wurde medial bekannt, dass „Querdenker“ versuchen, die Krisensituation für sich zu vereinnahmen. Die Gruppierung „Veteranen Pool“, die überwiegend aus Veteranen der Bundeswehr und der früheren Nationalen Volksarmee besteht, veröffentlichte im Rahmen eines eigenmächtig errichteten Krisenmanagements einen „Befehl Nr. 1“, unter anderem mitgezeichnet von den führenden „Querdenkern“ Michael BALLWEG und Bodo SCHIFFMANN aus Baden-Württemberg. In diesem Kontext plante die Gruppe die Errichtung einer eigenen „Einsatzleitstelle der Friedens- und Freiheitsbewegung“ in Bad Neuenahr-Ahrweiler/Rheinland-Pfalz, was zu weiteren Anreisebestrebungen insbesondere aus dem Spektrum der „Querdenken“-Bewegung führte. 

SCHIFFMANN rief zu Spenden via PayPal auf, mit denen angeblich die Flutopfer bzw. der Wiederaufbau in der Region unterstützt werden sollen. Über diesen MoneyPool konnte er Einzahlungen in Höhe von knapp 700.000 Euro generieren. Zum Teil war die Auszahlung der Spenden bzw. Schenkungen an Betroffene jedoch an Bedingungen geknüpft, was Aufschluss über die eigentliche Intention gibt: Nicht die Hilfe vor Ort ist das Ziel, sondern deren politische Instrumentalisierung. So erklärte SCHIFFMANN auf seinem Telegram-Kanal zu einer Auszahlung der Gelder: 

„Daran ist eine Bedingung geknüpft: die Diskriminierung von Menschen die sich gegen eine Impfung oder das Tragen von Masken entscheiden ist sofort zu beenden. Das gleiche gilt für die Diffamierung als rechtsradikaler nur weil man in der Lage ist selbst zu denken.“  

Gleichzeitig warb er in dem Telegram-Posting für die Teilnahme an der „Querdenken“-Demonstration am 1. August 2021 in Berlin.

Zu einer Auszahlung der Gelder kam es bisher jedoch nicht: PayPal veranlasste eine Kontensperrung und hat das Guthaben derzeit eingefroren. Hinsichtlich SCHIFFMANNs Spendenakquise gingen bei der Staatsanwaltschaft Heidelberg mehrere Strafanzeigen aus der Bevölkerung wegen des Verdachts der Veruntreuung von Geldern ein.

Anhänger der „Querdenken“-Bewegung kritisierten die mediale Berichterstattung über die Instrumentalisierung der Flutkatastrophe durch Extremisten sowie deren Thematisierung in Sicherheitskreisen als Herabwürdigung ihrer angeblich aufrichtigen Hilfsbereitschaft. Sie erhoben den Vorwurf, dass seitens des Staates nur regierungskonforme Hilfe erwünscht sei. Darüber hinaus gab es Vergleiche der vermeintlichen Diffamierung von „Querdenkern“ als Helfern vor Ort mit der Judenverfolgung zur NS-Zeit .

Den Unmut in der Bevölkerung nutzte die Bewegung, um für eine geplante Großdemonstration am 1. August 2021 in Berlin zu mobilisieren. „Querdenken“-Akteure propagierten hierbei einerseits eine Gleichsetzung von „Flutopfern, Impfopfern und Wirtschaftsopfern“. Die Tatsache, dass mobile Impfteams vor Ort eingesetzt wurden, wurde wiederum zuweilen sinngemäß mit Todesurteilen durch die Regierung gleichgesetzt. 

Neben einer gezielten Verächtlichmachung bzw. Delegitimierung des Staates, insbesondere dem agitatorischen Erschüttern des Vertrauens in staatliche Stellen, kam es in der Szene, unter anderem zu diesem Zwecke, zu einer vermehrten Verbreitung von Falschinformationen sowie verschwörungstheoretischen Narrativen. So wurde beispielsweise infrage gestellt, ob es sich bei der Hochwasserkatastrophe tatsächlich um ein Naturereignis handelte. Insbesondere durch das Verbreiten von Inhalten (rechts-)extremistischer und verschwörungsideologischer Multiplikatoren wird deren Inhalten massiv Vorschub geleistet.

Phänomenbereich Rechtsextremismus

Rechtsextremistische Parteien

„Nationaldemokratische Partei Deutschlands“ (NPD)

Der baden-württembergische NPD-Landesverband hat gemeinsam mit den Landesverbänden Bayern und Hessen sowie der Aktion „Deutsche helfen Deutschen BW“ [1] eine „Nationale Hochwasserhilfe“ ins Leben gerufen. Mit den Spenden wollte man IBC-Container [2] nach Bad Neuenahr-Ahrweiler bringen; dort sollten sie allerdings „bei den richtigen Leuten“ ankommen, so ein Facebook-Post des Landesverbands vom 22. Juli 2021. Die „Nationale Hochwasserhilfe“ sammelte dafür Geldspenden.

Die NPD Baden-Württemberg warb auf ihrer Facebook-Seite außerdem für die Hilfsaktion „Jugend packt an“ der NPD-Jugendorganisation „Junge Nationalisten“.

Dem deutschen Staat unterstellte der baden-württembergische Landesverband Versagen und forderte, dem „nationale Solidarität“ entgegenzusetzen. Außerdem warfen seine Vertreter der CDU, der SPD und Bündnis90/DIE GRÜNEN vor, die Opfer der Flutkatastrophe zu instrumentalisieren: Diese Parteien nutzten das Hochwasser „nur aus, um noch mehr Stimmung für den angeblich menschengemachten ‚Klimawandel‘ zu betreiben und den Bürgern grundlos eine Schuld einzureden. Vielleicht ja auch, um vom eigenen Versagen in der Vorbereitung des Katastrophenschutz abzulenken. Fakt ist und bleibt jedenfalls: der Klimawandel ist nicht vom Menschen gemacht und die Verbotspolitik der Ökoparteien von Grüne bis CDU daher verantwortungslos“, schrieb der Landesverband am 20. Juli 2021 auf Facebook. 

Ob im Anschluss an die Spendenaufrufe Mitglieder des baden-württembergischen NPD-Landesverbandes nach Rheinland-Pfalz gefahren sind, ist nicht bekannt. Ein Posting vom 25. Juli 2021 auf dem Telegram-Kanal „Deutsche helfen Deutschen Baden-Württemberg Nationale Hochwasserhilfe“ deutet lediglich darauf hin, dass ein Anhänger mit einer mobilen Wasseraufbereitungsanlage bestückt wurde.

„Junge Alternative“ (JA) 

Im Juli 2021 wurde die Plattform „Eichenherz“ unter anderem von einem Mitglied der „Jungen Alternative Baden-Württemberg“ anlässlich der Flutkatastrophe gegründet. Mithilfe von Geldspenden wollen die Gründer die besonders betroffenen Menschen vor Ort unterstützen. Hierfür richtete die Organisation sowohl ein Bank- als auch ein PayPal-Konto ein. Mittlerweile ist „Eichenherz“ auf Telegram, Facebook und Instagram vertreten und verfügt über eine eigene Homepage. Die Akteure hielten sich zeitweise in Schuld (RP) auf und ließen sich dort unter anderem mit dem „COMPACT“-Verantwortlichen Jürgen ELSÄSSER ablichten. [3] Am 5. August 2021 spendete die rechtsextremistische HipHop-Gruppierung „Neuer Deutscher Standard“ (NDS) der Hilfsorganisation einen Geldbetrag in Höhe von rund 5.400 Euro. 


Nicht parteigebundener Rechtsextremismus

„Nationale Sozialisten Württemberg“ („NS Württemberg“)

Die „NS Württemberg“ berichteten am 3. August 2021 auf ihrer Internetseite über einen Hilfseinsatz in Schuld/Rheinland-Pfalz, der ein Wochenende lang gedauert haben soll. Die „nationalen Aktivisten aus Württemberg“ seien auch mit einigen Bewohnern ins Gespräch gekommen, bei denen sich eine „verständliche Wut über das Versagen dieser Regierung“ gezeigt habe. Sie hätten sich daher sehr „über die jungen Landsmänner“ gefreut, „die völlig selbstlos mitanpackten“. Infolgedessen sei man auch abgereist „mit einem lachenden Auge über die gelebte Solidarität und dem Gefühl, einen kleinen Teil zu einer lebendigen Volksgemeinschaft beigetragen zu haben“. Gleichzeitig beklagten die „NS Württemberg“ das „Versagen“ und die „Heuchelei der Obrigkeit“.

Phänomenbereich „Reichsbürger und Selbstverwalter“

Im Milieu der „Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“ wurden über verschiedene Telegram-Gruppen und -Kanäle mit Bezug nach Baden-Württemberg (zum Beispiel NBB_BW_Offiziell“, eine regionale Untergruppe der „Reichsbürger“-Gruppierung „Nationale Befreiungsbewegung Deutschland“/DEU-NOD bzw. NBB) Beiträge mit Spenden- oder Hilfsaufrufen veröffentlicht. Einige davon enthielten auch Kritik an Politikern und staatlichen Hilfsmaßnahmen sowie Schuldzuweisungen und sprachen von einem Totalversagen des Staates im Zusammenhang mit der Flutkatastrophe.

Fazit und Bewertung

Die Hochwasserkatastrophe hat Rechtsextremisten, zentralen Akteuren der coronabezogenen Protestszene aus dem Phänomenbereich „Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates“ sowie „Reichsbürgern“ und „Selbstverwaltern“ die Möglichkeit gegeben, sich öffentlichkeitswirksam als Kümmerer darzustellen. Auch Personen und Gruppierungen aus Baden-Württemberg machten von diesem Gelegenheitsfenster Gebrauch. 

Die umfangreiche mediale Berichterstattung über ihre Aktivitäten können die Extremisten als Erfolg verbuchen. Festzuhalten bleibt gleichwohl, dass sie keinen prägenden Einfluss auf die Geschehnisse vor Ort gewinnen konnten.

Die Ereignisse bestätigen die bisherige Einschätzung des Landesamts für Verfassungsschutz: Personenzusammenschlüsse und Einzelakteure aus dem Phänomenbereich „Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates“ nutzen über das Corona-Protestgeschehen hinaus gesellschaftsrelevante Ereignisse und Themen, um diese für die eigenen extremistischen Zielsetzungen zu instrumentalisieren. Dies ist auch für die Zukunft zu erwarten. Mit dieser Form der politischen Selbstinszenierung und Propaganda zielen die Akteure darauf ab, systematisch das Vertrauen der Bürger in den demokratischen Rechtsstaat zu untergraben.



Erläuterungen

  1. Fremdenfeindliche Spendenkampagne der NPD in Baden-Württemberg, die 2018 initiiert wurde.
  2. Große Kunststofftanks, die als Trinkwasserspeicher genutzt werden und so die mobile Wasserversorgung sichern.
  3. Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) führt die „COMPACT-Magazin GmbH“ als rechtsextremistischen Verdachtsfall.

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