In der rechtsextremistischen Szene ist das Feindbild „Antifa“ ganz allgemein tief verankert. Umgekehrt agitiert auch die linksextremistische Szene gegen tatsächliche oder vermeintliche Rechtsextremisten, wobei hier vor allem die Partei „Alternative für Deutschland“ (AfD, Verdachtsfall im Bereich Rechtsextremismus) im Fokus steht. Aktuell scheinen insbesondere junge (gewaltorientierte) Rechts- und Linksextremisten nicht vor einer unmittelbaren Konfrontation mit dem politischen Gegner zurückzuschrecken, sodass die Lager immer wieder direkt aufeinandertreffen.
So geschehen etwa bei einer Veranstaltung des „Offenen Antifaschistischen Treffen Rems-Murr“ (OAT RM). Einen Tag nach dem Treffen der Gruppierung am 08. Oktober 2024 veröffentlichte die rechtsextremistische Gruppe „Unitas Germanica“ via Instagram ein Video, in dem sie dokumentierte, wie Gruppenangehörige – anfangs unbemerkt – an einem Treffen des OAT RM teilgenommen hatten. Die Aktion sei in Reaktion auf eine Recherche geschehen, die unter anderem am 03. Oktober 2024 auf der linksextremistischen Internetplattform „antifa-info.net“ erschienen war. Darin beschreiben „Antifas aus dem Süden“ die „Unitas Germanica“ als „Neue Nazigruppe im Südwesten“, die bei Gegenprotesten zum „Christopher Street Day“ in Albstadt aufgefallen sei. „Unitas Germanica“ kommentierte die Recherche via Instagram wiederum mit einem Clown-Emoji und bezeichnete sie als „schlecht“. Dem Recherchebeitrag sind auch Fotos mutmaßlicher Gruppenangehöriger beigefügt. Am Ende des Beitrags heißt es „Nazis gibt´s in jeder Stadt – bildet Banden, macht sie platt! „Unitas Germanica“ das Handwerk legen“.
Auch die linkextremistische Szene in Freiburg sah sich Ende Oktober 2024 in ihrem unmittelbaren Umfeld angegangen. Unter dem Titel „Jugendfaschos in Freiburg gesichtet“ erschien am 21. Oktober 2024 auf der linksextremistischen Internetplattform „de.indymedia.org“ ein Bericht über einen Vorfall in unmittelbarer Nähe zum Freiburger „Kulturtreff in Selbstverwaltung“ (umgangssprachlich: die KTS). Dort waren drei Personen aufgefallen, die sich vermummt und mit einer Reichskriegsflagge unweit der KTS fotografierten. Außerdem wurden sie beobachtet, wie sie an Straßenlaternenmasten Sticker anbrachten, unter anderem mit dem Aufdruck „NS-Zone“. Angehörige der linksextremistischen Szene reagierten auf diese Provokation unter anderem mit Steinwürfen und äußerten massive Drohungen, wie etwa „wir töten euch“. Dabei wurde laut Polizeibericht eine Person mit einem Stein am Kopf getroffen. Am Ende des genannten „de.indymedia.org“-Berichts finden sich Fotos mit den Gesichtern der drei Personen, dazu die Aufforderung: „Faschos haben Namen und Adressen, lasst uns diese ausfindig machen!“.
Besondere Bedeutung kommt einem Vorfall zu, bei dem sich die rechtsextremistische Szene einem Angriff neuer Qualität ausgesetzt sah: Am 20. Oktober 2024 wurde die Vorsitzende des baden-württembergischen Landesverbands der rechtsextremistischen Partei „Die Heimat“, Marina DJONOVIC in Murrhardt/Rems-Murr-Kreis von zehn bis fünfzehn Personen aus dem Hinterhalt mit Schlagstöcken angegriffen und verletzt. Dabei soll sie als „Nazischwein“ und „Nazischlampe“ bezeichnet worden sein. Opferauswahl und Vorgehensweise der Tat legen eine linksextremistische Täterschaft nahe.
Konkurrenzkampf um Sichtbarkeit im Stadtbild
Auch die Sichtbarkeit im Straßenbild spielt in der Konfrontation zwischen Rechts- und Linksextremisten aktuell eine wichtige Rolle. So wird in dem oben genannten „de.indymdia.org“-Bericht aus Freiburg darauf hingewiesen, dass es in der Stadt immer mehr „Fascho-Symbolik“ zu sehen gebe, etwa einschlägige Sticker oder Graffiti. Ähnliches berichtete auch das OAT RM am 21. März 2024 aus Backnang und Winnenden. Hier seien unter Stickern der rechtsextremistischen Kleinpartei „DER DRITTE WEG“ (Der III. Weg) Rasierklingen platziert worden, die beim Entfernen Verletzungen an den Fingerkuppen erzeugen sollen.
Überdies erschien am 03. November 2024 auf Instagram ein Video eines Angehörigen der rechtsextremistischen „Identitären Bewegung Deutschland e. V.“ (IBD), in dem dieser OAT RM-Plakate für eine Gedenkveranstaltung anlässlich der Reichspogromnacht in Welzheim öffentlichkeitswirksam zerstörte. Am 05. November 2024 veröffentlichte daraufhin das OAT RM über seinen Instagram-Account ein Video, in dem unter anderem das erneute Anbringen von Veranstaltungsplakaten sowie das Verteilen von einschlägigen Flyern und Stickern in Welzheim gezeigt wird. In anderen Einstellungen enthält das Video martialisch anmutende Szenen, in denen sich vermummte Personen nachts im Lichte von Bengalischem Feuer um das Welzheimer Ortsschild gruppieren und eine Fahne der „Antifaschistischen Aktion“ zeigen. Die unterlegten Liedzeilen lauten unter anderem „wir holen dich“.
Bewertung
Die linksextremistische Szene in Baden-Württemberg sieht sich zunehmend von rechtsextremistischen Akteuren herausgefordert, die selbstbewusst und provokativ auftreten. Vor diesem Hintergrund hielt die gewaltorientierte linksextremistische „Antifaschistische Aktion Süd“ (Antifa Süd) bereits im Juli 2024 in ihrer Veröffentlichung „Zeit zu handeln“ fest: „Mit der Normalisierung der AfD wird auch das Entstehen einer neuen faschistischen Jugendbewegung einhergehen, nicht unwahrscheinlich inklusive einer Wiederholung der Baseballschlägerjahre [1].“ Deshalb müssten „Faschist:innen […] auf allen Ebenen, mit allen Mitteln, die dafür notwendig sind [bekämpft werden]“. Mehrere Beispiele aus den vergangenen Monaten deuten nun daraufhin, dass Linksextremisten ihren Worten zunehmend Taten folgen lassen.
Die rechtsextremistische Szene zeigt sich, wie aus obigen Beispielen hervorgeht, ebenfalls konfliktbereit und keinesfalls eingeschüchtert. So ließ die Partei „Die Heimat“ nach dem Angriff auf ihre Parteivorsitzende verlauten: „Trotz der schweren Verletzungen bleibt sie fest entschlossen, weiter für die Werte und Ziele der HEIMAT einzustehen. Dieser Angriff wird weder sie noch uns als Partei von unserem Kurs abbringen.“
Die Auseinandersetzungen können ähnliche Taten nach sich ziehen und Rachegefühle wecken. Auch kann die Dynamik dazu führen, dass sich Angehörige beider Szenen bewaffnen wollen oder das Thema Kampfsport an Bedeutung gewinnt. Daneben kann der Konflikt die jeweiligen Szenen zusammenschweißen.
Angesichts der bevorstehenden Bundestagswahl im Februar 2025 ist mit einer weiteren Intensivierung der Auseinandersetzungen zwischen den beiden Lagern zu rechnen. Dabei deuten die Vorfälle der vergangenen Monate darauf hin, dass nicht nur situativ stattfindende Übergriffe eine Rolle spielen werden, sondern auf beiden Seiten die strategische Planung für gezielte Aktionen zunehmend an Bedeutung gewinnt.
[1] Das Wort „Baseballschlägerjahre“ steht für eine Phase der deutschen Geschichte in den 1990er Jahren, die besonders von rechtsextremistischer Gewalt geprägt war. Vor allem in Ostdeutschland kam es in dieser Zeit zu zahlreichen Übergriffen und rechtsextremistisch motivierten Anschlägen, beispielsweise in Rostock-Lichtenhagen und Solingen. [zurück]